Mas Veische Reich und seine einzelnen Glieder. (September 22.|28.) 165
Entgegenkommen. In der letzten Zeit ist so viel die Rede gewesen von
der Machtlosigkeit der Sozialdemokratie. Kein Wort ist falscher als das.
Ich wage im Gegenteil zu behaupten, keine Partei in Deutschland ist
mächtiger als die Sozialdemokratie. Sie beherrscht nach innen wie nach
außen unser öffentliches Leben.
Vorsitzender des Parteitags wird Abg. Singer. Abg. Gerisch er-
stattet den Kassenbericht und tadelt, daß viele Wahlkreise weit mehr kosteten
als einbrächten. Die Parteifinanzen hingen eigentlich von der Opferwillig-
keit der Genossen von Groß-Berlin ab. Die Parteiorganisation sei noch
unvollendet; in 33 Wahlkreisen sei noch keine vorhanden, eine wirkliche
Organisation bestände erst in 278 Wahlkreisen, darunter seien aber manche
schwache. Im ganzen seien 384000 Genossen organisiert, 12,76 Prozent
der abgegebenen Wahlstimmen. Besser stehe es mit der Presse. Kein Organ
habe im letzten Jahre Verluste zu verzeichnen gehabt, die Zahl der Abon-
neuten sei im ganzen um 158638 im Vorjahre gestiegen, einschließlich der
„Gleichheit“, nicht aber der „Neuen Zeit“; im ganzen seien es 838790,
die Einnahmen in „Köbe von 4,2 Millionen Mark brachten, die Inserate
lieferten dazu 2,6 Millionen Mark.
In der Debatte weisen Vertreter mehrerer Wahlkreise die ihnen
gemachten Vorwürfe der Saumseligkeit zurück und greifen den Partei-
vorstand heftig an.
Abg. Bebel beantragt eine Resolution über den Massenstreik: „Der
Parteitag bestätigt die Beschlüsse des Jenaer Parteitages, den politischen
Massenstreik betreffend. Der Parteitag empfiehlt nochmals besonders nach-
drücklich die Beschlüsse zur Nachachtung, die die Stärkung und Ausbreitung
der Parteiorganisation, die Verbreitung der Parteipresse und den Beitritt
der Parteigenossen zu den Gewerkschaften und der Gewerkschaftsmitglieder
zur Parteiorganisation fordern. Sobald der Parteivorstand die Notwen-
digkeit eines politischen Massenstreiks für gegeben erachtet, hat derselbe sich
mit der Generalkommission der Gewerkschaften in Verbindung zu setzen
und alle Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Aktion
erfolgreich durchzuführen. Die Gewerkschaften sind unumgänglich not-
wendige Organisationen für die Hebung der Klassenlage der Arbeiter inner-
halb der bürgerlichen Gesellschaft. Dieselben stehen an Wichtigkeit hinter
der sozialdemokratischen Partei nicht zurück, die den Kampf für die Hebung
der Arbeiterklasse und ihre Gleichberechtigung mit den anderen Klassen der
Gesellschaft auf politischem Gebiet zu führen hat, im weiteren aber über
diese ihre nächste Aufgabe hinaus die Befreiung der Arbeiterklasse von
jeder Unterdrückung und Ausbeutung durch Aufhebung des Lohnsystems
und die Organisation einer auf der sozialen Gleichheit aller beruhenden
Erzeugungs= und Austauschweise, also der sozialistischen Gesellschaft, er-
strebt. Ein Ziel, das auch der klassenbewußte Arbeiter der Gewerkschaft
notwendig erstreben muß. Beide Organisationen sind also öfters in ihren
Kämpfen auf gegenseitige Verständigung und Zusammenwirken angewiesen.
Um bei Aktionen, die die Interessen der Gewerkschaften und der Partei
gleichmäßig berühren, ein einheitliches Vorgehen herbeizuführen, sollen die
Zentralleitungen der beiden Organisationen sich zu verständigen suchen.
Die Einladung zu einer solchen Beratung hat diejenige Zentralleitung er-
gehen zu lassen, von der die Anregung zu der Beratung ausgeht.“ — Er
berichtet über den Streit betreffend den Massenstreik (S. 138). Ein Massen-
streik wegen des preußischen Wahlrechts sei noch nicht zeitgemäß, weil die
Arbeiter das Wahlrecht zu lange gleichgültig betrachtet hätten; sie müßten
erst noch dafür vorbereitet werden. Die Befürworter des schleunigen Massen-
streiks hätten keinen Kontakt mit den Massen. Auch im Falle eines Krieges