Anstaltsvormund. 97
Reichsgesetz, ist vielmehr noch zu for-
dern. Ein solches Gesetz müßte in Er-
gänzung des B 1666 an diesen Tatbestand
die Entziehung der elterlichen Gewalt
knüpfen und dem Anstaltsvorstande un-
ter gewissen Kautelen „alle aus der elter-
lichen Gewalt und der Vormundschaft
fließenden Rechte“ sichern. (Überein-
stimmend Reicher Ill 1 315.)
Der gewöhnliche Sprachgebrauch hat
aus dem Worte „Anstalt‘“ allmählich nur
eine Bezeichnung für ein „Gebäude“ oder
einen „einheitlichen Gebäudekomplex“
gemacht, und die hier in Betracht kom-
menden Gesetze sind, nach den Motiven zu
urteilen, unter dem Drucke dieses Sprach-
gebrauches zustande gekommen. Zweifel-
los aber bedeutet „Anstalt‘ rein logisch
auch einen „als Verbandsperson anerkann-
ten gesellschaftlichen Organismus‘ mit
festgeregeltem Stiftungs- oder Bestim-
mungswillen, vgl Gierke DPrR 1 635.
Nun meintCrusen, die ‚Anstalt‘ müsse
eine „geschlossene“ sein, d.h. eine solche,
die ihre Zöglinge in eigenen abgesonder-
ten Räumen unterbringe. Das soll sich
aus den Worten: „in der Anstalt un-
tergebracht‘“ ergeben. „In der Anstalt“
bedeutet aber m. E. nur: „innerhalb des
unbestreitbaren Machtbereiches der An-
stalt‘‘, eine Auslegung, welche mit der
Praxis, z. B. des rheinischen Kommunal-
verbandes übereinstimmt, der mit den An-
staltszöglingen zum Teil Bauerngüter be-
legt und sie dabei doch unter unmittel-
barer „Anstaltsdisziplin“ hält (Fichten-
hain bei Crefeld). Die rein logische Aus-
legung des Begriffes „Anstalt‘‘ gibt auch
die Möglichkeit, die nach S 56 in „An-
stalten‘‘ verbrachten Zöglinge außerhalb
gefängnisartiger Gebäude unterzubringen,
sobald nach dem Zustande ihrer Erzie-
hung eine freiere, für das Leben besser
vorbereitende Behandlung möglich er-
scheint. — Auf Grund des Einf-B 136 be-
stehen abgesehen von den FE- und ZwE-
Gesetzen folgende landesherrliche Be-
stimmungen über AV: Altenburg AG
8 118, Anhalt AG $ 65, Baden Ges vom
16. Aug 190 Art 3, 4, Bayern AG
Art 100, Braunschweig AG 88 94-098,
Elsaß-Lothringen AG $$ 136—140, Ham-
burg AG $ 75 und Ges vom 11 Sept 1907,
Coburg-Gotha AG Art 49 $ 10, Preußen
AG Art 78, Reuß j. L. AG $ 109, Sachsen
AG 88 37-39, Schwarzburg-S AG
Art 58, Waldeck AG Art 41, Weimar-E
Posener Rechtslexikon L
AG $ 209; Bayern außerdem Ges vom
23. Febr 1908, die Berufungsvormund-
schaft betr, GVBl 12 85. Die weiteren Ge-
setze, z. B. für Bremen, vgl in ZfsozWiss
06 und SchrdesDVerfArmenpflege Heft
81, 82, 83. Eine bestellte, nicht eine ge-
setzliche AV enthalten ferner Zwangser-
ziehungsgesetze, z. B. prFEG $ 12; eine
gesetzliche z. B. Meiningen ZwEG $ 10,
Württemberg FEG Art 13.
Das prAG Art 78 geht nicht bis zum
Umfange der reichsrechtlichen Erlaubnis.
Es gibt die gesetzliche AV nur einer
„unter Verwaltung des Staates oder einer
Gemeindebehörde stehenden Erziehungs-
oder Verpflegungsanstalt‘. Der Vorstand
behält die Vormundschaft auch nach Be-
endigung der Erziehung oder Verpfle-
gung. Die Vormundschaft ist eine befreite.
Wesentlich ist die Regel des $ 2: „Die
Aufnahme des Mündels in die Anstalt ist
von dem Vorstande dem Vormundschafts-
gericht und dem Gemeinderat des Bezirks,
in dem die Anstalt liegt, anzuzeigen. Mit
der Aufnahme in die Anstalt endigt das
Amt des bisherigen Vormundes.‘“ Die
Streitfrage, ob Vormundschaftsgericht und
Gemeindewaisenrat ein Aufsichtsrecht ge-
genüber dem Anstaltsvormunde haben, ist
damit für Preußen abgeschnitten. Die An-
zeige kann doch nur den Zweck haben, die
Fürsorge der benachrichtigten Organe
auf die betr Zöglinge hinzulenken. Das
Amt des Gegenvormundes erlischt nicht
von selbst. Indessen ist die Vorschrift,
daß keiner bestellt werden soll, sinngemäß
dahin auszulegen, daß er zu entlassen ist,
sofern das Vormundschaftsgericht sich
nicht entschließt, einen neuen Einzel-
vormund zu bestellen. Der Anstaltsvor-
mund geht den „berufenen‘‘ Vormündern
vor.
Als Gemeindebehörde ist sinngemäß
auch der Kommunalverband anzusehen,
der kraft des FEG die öffentliche Er-
ziehungsgewalt über die Fürsorgezög-
linge führt. Soweit der Kommunalverband
eigene Anstalten verwaltet, hat der Vor-
stand dieser Anstalt die gesetzliche AV
über die Insassen, soweit sie nicht unter
elterlicher Gewalt stehen. Der Vorstand
ist nicht eine „Einzelperson“, sondern eine
Behörde, „die Personenmehrheit bzw der
die Behörde jeweils repräsentierende Be-
amte, welche die Anstalt in erzieherischer
Hinsicht leitet‘, KG 31 A 26; anderer Mei-
nung Klumkera. a. O. 49.
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