Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

Arbeitseinstellung und Aussperrung — Arbeitskammern. 
ger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbe- 
sondere mittelst Einstellung der Arbeit 
oder Entlassung (Aussperrung) der Arbei- 
ter sind durch Gw 152 aufgehoben wor- 
den. Streiks und Aussperrungen sind also 
zulässig (Koalitionsrecht). Jedoch steht 
jedem Teilnehmer der Rücktritt von sol- 
chen Vereinigungen und Verabredungen 
frei. Es findet aus letzteren weder Klage 
noch Einrede statt, Gw 152 Abs 2. Dieses 
Privilegium des Vertragsbruchs führt zu 
Unzuträglichkeiten und stellt sich beson- 
ders der Ausbreitung der Tarifverträge (s. 
hier unter ‚„Tarifgemeinschaften‘‘) ent- 
gegen. Im übrigen ist es den Arbeit- 
gebern und Arbeitern gestattet, beliebige 
Mittel zur Erlangung günstiger Lohn- 
und Arbeitsbedingungen anzuwenden, 
wenn sie nur nicht gegen Gw 153 und 
die sonstigen Strafgesetze verstoßen. Es 
kommen in Frage namentlich S 240, 241 
(Nötigung) und S 253, 254 (Erpressung). 
Das Streikpostenstehen, welches bei 
Lohnbewegungen der Arbeiter von die- 
sen nicht entbehrt werden kann, ist bei- 
spielsweise erlaubt. Freilich haben sich 
die Streikposten allgemeinen straßenpoli- 
zeilichen Vorschriften zu fügen. Gw 153 
hat folgenden Inhalt: 
„Wer andere durch Anwendung körper- 
lichen Zwanges, durch Drohungen, durch 
Ehrverletzung oder durch Verrufserklä- 
rung bestimmt oder zu bestimmen ver- 
sucht, an solchen Verabredungen, Gw 152, 
teilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, 
oder andere durch gleiche Mittel hindert 
oder zu hindern versucht, von solchen 
Verabredungen zurückzutreten, wird mit 
Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, 
sofern nach dem allgemeinen Strafgesetze 
nicht eine härtere Strafe eintritt.‘‘“ Bemer- 
kenswert ist, daß Gw 153 körperlichen 
Zwang, Drohung usw nur für strafbar er- 
klärt, wenn sie zu dem erlaubten Zweck 
der Unterstützung einer Koalition dienen; 
die genannten Handlungen sind dagegen 
straflos, wenn sie die Auflösung einer 
Koalition bezwecken. 
v. Landmann Kommentar zur Gw 2; Löwenfeld 
in Brauns Archiv 3 462 ff und 14 471ff; v. Schulz in 
den Verhandlungen des XXIX. deutschen Juristentags 2 
272 fl (Literaturverzeichnis 202—206). v. Schulz. 
Arbeitskammern. Bereits Anfang 
1908 wurde der Entwurf eines Arbeits- 
kammergesetzes veröffentlicht. Er ist 
dann unter Berücksichtigung vieler in der 
Presse und in Zeit- und Fachschriften ge- 
äußerter Wünsche und Vorschläge von 
  
109 
der Reichsregierung einer Durcharbeitung 
unterzogen. Der neue Entwurf beschäf- 
tigt seit Januar 1909 den Reichstag. Ar- 
beitskammern — nicht Arbeiterkammern 
— sind nach dem Entwurfe zu errichten, 
„soweit nach dem Stande der gewerb- 
lichen Entwickelung ein Bedürfnis be- 
steht‘. Die Kammern haben Rechtsfähig- 
keit. Der Vorsitzende und seine Stell- 
vertreter werden von der Aufsichtsbe- 
hörde ernannt. Sie dürfen weder Arbeit- 
geber noch Arbeiter sein. Als Pfleger des 
wirtschaftlichen Friedens sollen die A 
die gemeinsamen gewerblichen und wirt- 
schaftlichen Interessen der Arbeitgeber 
und Arbeiter der in ihnen vertretenen Ge- 
werbszweige sowie die auf dem gleichen 
Gebiete liegenden besonderen Interessen 
der beteiligten Arbeiter wahrnehmen. 
Die Kammern sollen auf fachlicher Grund- 
lage gebildet werden. Diese Absicht wird 
von vielen nicht für richtig gehalten, wie 
es auch Bedenken erweckt, daß der Ent- 
wurf die Berufsvereine ausgeschaltet hat, 
obwohl häufig die Entscheidung über den 
„wirtschaftlichen Frieden‘ in deren Hand 
liegt. Es sind in Aussicht genommen A 
für die Arbeiter im Sinne des Titel VII Gw 
mit Einschluß der Heimarbeiter und der 
Gehilfen des Handwerks. Die Arbeiter 
in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungs- 
anstalten, unterirdischen Betrieben und 
Gruben sind besonders genannt. Da- 
gegen hat man zunächst ausgeschieden 
die Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter in 
Handelsgeschäften und Apotheken. Für 
die Handlungsgehilfen wird ein.besonde- 
res Vorgehen geplant. Den Betriebsbeam- 
ten, Werkmeistern und Technikern will 
man, obwohl sie nach der Begründung des 
Entwurfs wie die Handlungsgehilfen be- 
handelt werden sollten, Unterkunft in den 
A gewähren. Vermutlich sollen dort für sie 
gesonderte Vertretungen geschaffen wer- 
den. Unter Bezugnahme auf Gw 6 ist 
in dem Entwurf bemerkt, daß das Ge- 
setz auf die Eisenbahnen nicht anzuwen- 
den sei. Ebenso fallen aus die Arbeiter 
der Heeres- und Marineverwaltung. Als- 
dann werden nach der ganzen Anlage des 
Gesetzentwurfes die Arbeiter der Fische- 
rei, Viehzucht, der Auswanderungsunter- 
nehmen und die Schiffsmannschaften auf 
den Seeschiffen A nicht erhalten. Gleiches 
eilt für die Arbeiter des Ackerbaues, 
der Forstwirtschaft, des Garten- und 
Weinbaues. Sie alle rechnen nicht
	        
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