Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

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durch einen Akt der Gesetzgebung. Sie 
dient in der Regel der Beseitigung einer 
Streitfrage im Gegensatze zur herrschen- 
den Ansicht. — Ein Beispiel: Das prRe- 
gulierungsedikt vom 14. Sept 1811 ge- 
währt den lassitischen Gütern, d. h. sol- 
chen Gütern, die vom Gutsherrn (Grund- 
herrn) dem Bauern nur auf Widerruf, pre- 
cario, gegeben werden, volle Regulie- 
rungsfähigkeit unter Abfindung des 
Grundeigentümers; hiernach kann der 
Bauer sein Gut oder seinen Hof im Wege 
des Rechtsverkehres, z. B. durch Kauf 
oder Verkauf, willkürlich vergrößern oder 
verkleinern. Dieses Edikt wurde zunächst 
auf alle Güter bezogen. Da die Regie- 
rung aber eine so umfangreiche Anwen- 
dung des Ediktes nicht gelten lassen 
wollte, beschränkte sie durch die Dekla- 
ration vom 29. Mai 1816 die Regulie- 
rungsfähigkeit auf die spannfähigen und 
katastrierten lassitischen Bauern- und 
Kossätenhöfe alten Bestandes. — Damit 
wurde dem Regulierungsedikte der größte 
Teil seines Anwendungsgebietes entzo- 
gen; s. auch Bauernbefreiung. 
Die authentische A hat zwar rückwir- 
kende Kraft; was jedoch auf Grund frühe- 
rer Rechtsauffassung durch Leistung, Ver- 
gleich oder Urteil abgetan ist, kann nicht 
wegen einer neu eintretenden Änderung 
der Rechtsauffassung (im Wege authen- 
tischer Interpretation) zurückgefordert 
werden. Vgl D38, 17,1,12;Dernburg 
Pandekten 1 82: „iudicata, transacta, finita 
werden nicht berührt,‘ 
II. Doktrinelle Interpretation ist die 
Auslegung des Rechtes durch die Wissen- 
schaft und die Praxis des Rechtes. 
1. Grammatische A ist die Auslegung 
der Gesetzesworte, welche die sprachliche 
Bedeutung, den Satzbau, den Stil der Nor- 
men besonders wertet. So ist beim B eine 
eigene Kunstsprache angewendet worden, 
in der bestimmte Begriffe gewissermaßen 
klischiert erscheinen. Bis ins einzelne ist 
dies für die Lehre von der Beweislast 
(s. d.) durchgeführt worden. — Die Geg- 
ner belegen diese nützliche Tätigkeit 
mit der Bezeichnung Buchstabeninterpre- 
tation, scheuen sich aber gleichwohl nicht, 
an geeigneter Stelle grammatisch zu in- 
terpretieren, 
2. Logische oder juristische A sucht den 
Sinn einer Rechtsnorm im Flusse der Ent- 
wickelung zu ermitteln. Sie berücksichtigt 
die Entstehungsgeschichte, occasio legis, 
  
Auslegung — Auslieferung. 
ferner den Zweck des Gesetzes und die 
Stellung des Satzes in Systeme. Eine A, 
die der geschichtlichen und verglei- 
chenden Entwickelung des Rechtes un- 
kundig ist, ist keine A. Kein Satz eines 
Gesetzbuches ist isoliert zu verstehen. 
Die Vorarbeiten der modernen Gesetz- 
bücher bieten gewöhnlich ein reichhal- 
tiges und wertvolles Material für seine A; 
denn in diesen Materialien, Motiven, Pro- 
tokollen der Kommissionen und Parla- 
mente ist ein für Konstruktionsfragen und 
rein technische Bildungen oft unentbehr- 
licher Stoff geboten. — Man darf jedoch 
Vorarbeit und Gesetz nicht gleichstellen: 
nur, was Gesetz geworden ist, gilt; nicht, 
was Gesetz hätte werden können oder sol- 
len. — Vgl RG 45 220. 
Ill. Die A erfüllt den Rechtssatz mit 
einem bestimmten Sinne, der mehr ent- 
halten kann, als scheinbar im Gesetze ge- 
sagt ist, oder aber weniger. Danach un- 
terscheidet man nach dem Umfange 
der A: 
1. extensive A, welche mehr Tatbe- 
stände umfaßt, als nach den Worten des 
Gesetzes unter die Norm zu fallen 
scheinen ; 
2. restriktive A, welche weniger Tat- 
bestände umfaßt, als in dem Wortlaute 
enthalten zu sein scheinen. P. 
Auslieferung. Die Macht der Straf- 
rechtspflege ist beschränkt auf die Gren- 
zen des Staatsgebiets. Das kann aber 
dem verfeinerten Rechtsgefühl nicht ent- 
sprechen. Es treten deshalb als Aushilfs- 
mittel hinzu das internationale Strafrecht 
und die A(us)l(ie)f(erung). Die letztere 
muß sich, da sie ja die Machtmittel des 
fremden Staates zu Hilfe nimmt, auf Über- 
einkommen stützen. Ursprünglich wurde 
ein solches Übereinkommen von Fall zu 
Fall getroffen. Als sich aber mit fort- 
schreitender Verkehrserleichterung die 
Fälle vermehrten und gleichzeitig die ge- 
setzliche Bindung der für die Alf erwach- 
senen Rechtsregeln aufkam, schritt man 
dazu, durch internationale Verträge die 
Materie ein für allemal zu ordnen. 
In Deutschland schlossen bis zum Jahre 
1870 die einzelnen Bundesstaaten solche 
Verträge ab, die, soweit sie mit Frank- 
reich und Nordamerika vereinbart worden 
sind, noch heute Geltung haben, und 
deren rechtliche Tragweite nach dem Ver- 
fassungsrecht des Bundesstaats zu beur- 
teilen ist. Seit der Gründung des Deut-
	        
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