Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

Auslieferung. 
wurde, so muß der ersuchte Staat aus- 
liefern, auch wenn sein derzeitiges Straf- 
recht den Tatbestand nicht mehr kennt, 
denn er ist ja durch den Vertrag gebun- 
den, RGSt 35 348. Der Richter in dem 
Staate, an den ausgeliefert ist, muß, so- 
weit der Vertrag bei ihm Gesetzeskraft 
hat, prüfen, ob der nachgewiesene Tat- 
bestand in seinem Staate heute strafbar ist, 
ob er einem im Auslieferungsvertrag ent- 
haltenen Tatbestand entspricht und, so- 
weit Übereinstimmung beider Tatbestände 
gefordert wird, im ersuchten Staat zur Zeit 
des Vertragsabschlusses strafbar war. 
Aus der vertragsmäßigen Beschränkung 
der Alf auf bestimmte Delikte und der 
Bewilligung der Alf auf Grund ganz be- 
stimmter gerichtlicher Urkunden ergibt 
sich der Grundsatz, daß im ersuchenden 
Staat die Verurteilung, ja selbst die Ver- 
folgung wegen vor der Alf begangener 
strafbarer Handlungen, die im Ausliefe- 
rungsvertrag nicht erwähnt waren, nicht 
erfolgen darf. Das ist das Prinzip der 
„Spezialität“, das je nach dem Stand- 
punkt, den die Staaten in der Beweisprü- 
fungsfrage einnehmen, streng oder weni- 
ger streng durchgeführt wird. 
Großbritannien erwartet von dem Ver- 
tragsgegner Unterlassung jeder Verfol- 
gung wegen einer anderen Handlung, es 
sei denn, daß der Beschuldigte nach dem 
Vereinigten Königreiche zurückgeführt 
und seine Auslieferung von neuem bewil- 
ligt wird oder daß er Gelegenheit gehabt 
hat, nach England zurückzukehren, und er 
somit nicht mehr als Ausgelieferter anzu- 
sehen ist. Ähnlich verhält sich die Nord- 
amerikanische Union. Sie wendet aber 
gegen Bestrafung unter anderen recht- 
lichen Gesichtspunkten nichts ein, sofern 
die strafbare Tat auch in der neuen recht- 
lichen Beurteilung Auslieferungsdelikt ist. 
Andere Staaten gestatten, nachträgliche 
Zustimmung des ausliefernden Vertrags- 
gegners einzuholen, und in den meisten 
übrigen Verträgen ist Verfolgung wegen 
aller Delikte allgemein erlaubt, die Aus- 
lieferungsdelikte sind. 
Für die letztgenannten Verträge ist mei- 
stens noch besonders erwähnt, daß wegen 
aller strafbaren Handlungen bestraft wer- 
den könne, wenn der Ausgelieferte nach 
seiner Bestrafung oder Freisprechung 
während einer gewissen Zeit im Lande 
bleibt oder nach Verlassen desselben wie- 
der dahin zurückkehrt. Es kann keinem 
  
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Zweifel unterliegen, daß diese Bestim- 
mung auch für alle anderen Staaten gilt, 
von denen sie nicht ausdrücklich aufge- 
führt wird. 
Der Begriff der der Auslieferungsbewil- 
ligung zugrunde liegenden Tat darf nicht 
eng aufgefaßt werden. Bei fortgesetzten 
Delikten ist die ganze Tätigkeit, auch 
wenn einzelne Akte bei der Alf nicht be- 
kannt waren, abzuurteilen. Neu bekannt 
gewordene sachlich konkurrierende Hand- 
lungen unterliegen dem Prinzip, und recht- 
lich konkurrierende Tatbestände dürfen 
nur dann zur Verurteilung führen, wenn 
im Vertrag Ausnahmen vom Prinzip zu- 
gelassen sind und der ideell konkurrie- 
rende Tatbestand auch ein Auslieferungs- 
delikt bildet. 
Eine auf Grund des Hindernisses der 
Spezialität erfolgte „Freisprechung‘“ 
steht aber, wie das Reichsgericht aus- 
drücklich ausgeführt hat, einer späteren 
Aufnahme der Verfolgung gegen den nicht 
mehr als Ausgelieferten anzusehenden Be- 
schuldigten nicht entgegen, RGSt 22. 3. 
04; BöhmsZ 05 285. 
Nach der Auslieferung begangene De- 
likte können natürlich unbeschränkt ver- 
folgt und abgeurteilt werden. Wird bei 
einer Durchlieferung des Ausgelieferten 
durch ein drittes Land auf dessen Gebiet 
eine strafbare Handlung begangen, so 
darf diese nur verfolgt werden, wenn 
nachträglich Alf bei der Regierung des 
dritten Staates erwirkt wird. 
Eigene Staatsangehörige liefern alle 
kontinentalen Staaten grundsätzlich nicht 
aus, vgl hierzu S 9. Zum völkerrechtlichen 
Grundsatz ist diese Nichtauslieferung aber 
bis jetzt nicht geworden, weil die englisch- 
amerikanische Staatengruppe widerstrebt. 
Diese huldigt in ihrem Strafrecht dem 
Territorialitätsprinzip und hat zum Kor- 
relat dafür die anstandslose Alf der 
eigenen Staatsangehörigen. 
Bei denjenigen Staaten, die Nationale 
nicht ausliefern, ist als Ersatz dafür aufge- 
kommen, die Verpflichtung einzugehen, 
selbst zu strafen, soweit es die Oesetz- 
gebung zuläßt. Solche Verpflichtung hat 
Deutschland gegenüber der Schweiz, Ita- 
lien und Brasilien eingegangen. Allzu 
weite Ausdehnung des in der Nichtauslie- 
ferung Nationaler zutage tretenden Prin- 
zips führt dazu, sogar die Erledigung von 
Requisitionen, die sich gegen eigene 
Staatsangehörige als Beschuldigte richten, 
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