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sammen, auch die obgemeldete Durch-
zählung erfolgt ohne Konvent. Aber die
Beschlüsse des einen Hauses bilden die
Beratungsgrundlage für das andere, und
die Regierung kann (abgesehen von Fi-
nanzgesetzen jeder Art) ihre Entwürfe
nach Belieben bei der einen oder anderen
Kammer einreichen. Beide sind rechts-
gleich auf dem nicht finanziellen Gebiet.
Kein Landtagsbeschluß besteht, solang
nicht beide, jedes Haus in seiner Mehr-
heit (bei Verfassungsgesetzen Zweidrittel-
Mehrheit), zugestimmt haben. Zu Be-
schwerden ist jedoch jede Kammer allein
berechtigt und zur Ministeranklage nur
die zweite, indem die erste sich dafür
unter Beizug von Berufsrichtern zum
Staatsgerichtshof gestaltet. Niemand kann
beiden Kammern zugleich angehören;
doch ist der Wählerschaft und den Ge-
wählten damit keine Bindung auferlegt,
der Berufene mag sich selbst entscheiden.
Für die landtagslosen Zeiten bilden beide
Kammern zusammen, jede durch Depu-
tierung von Mitgliedern aus sich, den
landständischen Ausschuß, welcher ge-
wisse Kontrollbefugnisse hat; seine Mit-
glieder genießen ein Nachmandat über
die Existenz des Landtags hinaus, ausge-
nommen den Fall seiner Auflösung.
Das Verhältnis von Landtag und Regie-
rung liegt im Rahmen des konstitutionel-
len Prinzips, mit Vermeidung des parla-
mentarischen, also im Sinn wirklicher Ko-
ordination und unter Wahrung der Staats-
hoheitsrechte des Souveräns. Die Kam-
merwirksamkeit ist trotz der Öffentlich-
keit auf Beratung, Beschließung und Mit-
teilung an die Regierung beschränkt; es
besteht kein Enquete-, Bekanntmachungs-,
noch Selbstversammlungsrecht. Der Groß-
herzog kann, wenn der Landtag nicht ver-
sammelt ist, auch in Gesetzgebungs-
materien, bei dringendem Gebot des
Staatswohls Verordnungen (provisorische
Gesetze) erlassen, deren vorübergehender
Zweck durch jede Verzögerung vereitelt
würde; für Kriegsnöte und für die Fort-
erhebung der Abgaben nach Ablauf der
Verwilligungszeit bestehen besondere
Vorbehalte. Die Ministeranklage hat
nichts mit dem parlamentarischen Ver-
trauen zu tun, sondern erheischt objektive
Anklagegründe in einem Rechtsverfahren
und ist von entsprechenden Verteidi-
gungsbefugnissen, auch mit Ablehnungs-
rechten bei der Gerichtsbildung, begleitet.
Baden — Bancroft.
Quellen und Literatur siehe in Poseners Sammlung der
Verfassungen des Erdballs, Abteilung „Baden“, bearbeitet
von E. v. Jagemann. v. Jagemann.
Bahn s. Eisenbahn.
Bähr (Otto), * 2. Juni 1817 zu Fulda,
studierte in Marburg, Göttingen und Hei-
delberg und wurde 1844 Obergerichts-
assessor, 1849 Obergerichtsrat in Cassel.
1851 an das Obergericht in Fulda ver-
setzt, wurde er 1856 an das Obergericht
in Kassel zurückberufen und 1863 Ober-
appellationsgerichtsrat. 1867 trat er in
das für die neuerworbenen Provinzen in
Berlin gebildete Appellationsgericht. Im
Jahre 1879 zum Reichsgerichtsrat in Leip-
zig ernannt, mußte er schon 1831 aus Ge-
sundheitsrücksichten sich in das Privat-
leben zurückziehen und lebte seitdem in
Cassel, wo er 17. Febr. 1895 .
Seine epochemachende Monographie „Die An-
erkennung als Verpflichtungsgrund“ erschien zu-
erst 1855 ın Cassel (2. Ausgabe 1867); unter seinen
übrigen rechtswissenschaftlichen Schriften, zu-
meist Einzeluntersuchungen in Zeitschriften, fan-
den allgemeines Interesse: Der deutsche Zivil-
rozeß in praktischer Betätigung (1885) und:
och ein Wort zum deutschen Ziviprozeß (1886).
Auch war er seit 1873 Mitherausgeber der
Jheringschen Jahrbücher und mehrfach an ge-
selzpe erischen Arbeiten beteiligt, insbesondere
1875 und 1876 an den Arbeiten der Reichs-
justizkommission; gegen den ersten Entwurf
des B, den er als „kleinen Windscheid“ bezeich
nete, schrieb er einen Gegenentwurf. Bogeng.
Bahrprobe, eine Probe, um den Mör-,
der durch den Ermordeten, z. B. durch
Eingebung, Bewegung usw., zu ermitteln.
Baldus de Ubaldis, Petrus (Pietro
Baldi degli Ubaldi, Baldeschi), Schüler
des Bartolus, * um 1327 zu Perugia, lehrte
die Rechte daselbst sowie in Bologna und
Florenz. Er f 28. April 1400 in Pavia.
Opera omnia, Venedig 15%, 4. Bogeng.
Baltrum, Nordseeinsel, Jagdrecht auf
Baltrum s. Stelling, HannovJagdges
Kommentar 55.
Bambergensis, mater Carolinae, eine
von Johann von Schwarzenberg 1507 ver-
faßte Halsgerichtsordnung.
Bancroft, George, Historiker, Ge-
sandter der USA beim Norddeutschen
Bunde und Deutschen Reiche (1867—74),
* 3, Okt 1800 in Worcester Ma, + 17. Jan
1891 in Washington. Grundlegend ist
sein Werk History of the United States,
1834 ff. — Nach B sind die Bancroftver-
träge benannt, welche Bestimmungen
über die Erwerbung und den Verlust der
Staatsangehörigkeit (s. d.) geben, 1868,
1869.