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erledigung, vom 16. Febr 1879 Nr 3
(kurz ‚ Regentschaftsgesetz “ genannt)
vom Herzog Wilhelm erlassen worden.
Das Landesgrundgesetz — die Neue Land-
schaftsordnung vom 18. Okt 1832 — be-
schränkte sich darauf, nur die Regierungs-
vormundschaft bei Minderjährigkeit des
Landesfürsten zu regeln (88 16ff dessel-
ben), es enthielt also keinerlei Ausweg für
den befürchteten Konfliktsfall. Zur Aus-
füllung dieser Lücke ist das für die spä-
tere Verfassungsgeschichte des Landes
außerordentlich bedeutungsvolle Gesetz
bestimmt; es hat deshalb — wie die Ge-
setzesmaterialien ausdrücklich ausführen
und der Gesetzeswortlaut unzweideutig
besagt — generellen Charakter; es ist
zwar durch die in tatsächlicher Beziehung
zweifelhafte Gestaltung des nächstbevor-
stehenden Sukzessionsfalles veranlaßt,
will aber darüber hinaus alle in der Ver-
fassung noch nicht vorgesehenen Fälle
der Behinderung des Landesfürsten an der
eigenen Ausübung der Regierung gleich-
mäßig regeln.
Dieses bringt das Gesetz zunächst in
seinem 8 1 zum Ausdruck, in welchem
als sein Zweck hingestellt wird: „bei künf-
tig eintretenden Thronerledigungen die
verfassungsmäßige Verwaltung des Her-
zogtums gegen Störungen in den Fällen
zu sichern, daß der erbberechtigte Thron-
folger am sofortigen Regierungsantritte
irgendwie behindert sein sollte“. Liegt
ein solcher Behinderungsgrund nach An-
sicht des Staatsministeriums vor, so hat
dasselbe als provisorische Regierung die
Mitglieder des sog Regentschaftsrates be-
hufs Konstituierung des letzteren einzu-
berufen (8 3). Dieser Regentschaftsrat be-
steht aus den stimmführenden Mitgliedern
des Herzoglichen Staatsministeriums, dem
Präsidenten des tagenden bzw des letzten
Landtages und dem Präsidenten des Her-
zoglichen Oberlandesgerichts; an die
Stelle der beiden letzteren treten ev deren
Vertreter, die Vizepräsidenten (8 2). Über
die Ausübung der Staatsgewalt durch den
Regentschaftsrat ist bestimmt (8 4), daß
ihm an sich alle Rechte und Pflichten
einer Regierungsvormundschaft oder Re-
gierungsverwesung zukommen, es dürfen
jedoch unter ihm Verfassungsänderungen
nicht stattfinden, Orden und Titel (mit
Ausnahme der sog Amtstitel) nicht ver-
liehen, ausscheidende Minister nur für die
Dauer der provisorischen Landesverwe-
Braunschweig.
sung durch Berufung neuer Minister er-
setzt werden. Wegen des Stimmrechtes
im Bundesrate hat der Regentschaftsrat an
den Kaiser das erforderliche Ersuchen zu
richten, damit dasselbe sowie überhaupt
das Verhältnis Braunschweigs zum Reiche
für die Dauer der vom Regentschaftsrat
geführten provisorischen Regierung in
einer der Reichsverfassung entsprechen-
den Weise geordnet werde. Hinsichtlich
der Zivilliste des Landesfürsten ist vorge-
schrieben, daß dieselbe fortgezahlt wird,
und daß der Regentschaftsrat über ihre
Verwendung mit tunlichster Berücksich-
tigung der bestehenden Verhältnisse vor-
behaltlich näherer Vereinbarung mit der
Landesversammlung über etwaige Über-
schüsse zu bestimmen hat. Nach 8 5 des
Gesetzes hört die provisorische Regierung
des Regentschaftsrates auf, sobald entwe-
der,die Behinderung des Thronfolgers
fortfällt und dieser die Regierung antritt
oder bei andauernder Behinderung des-
selben ein zur Regentschaft Berechtigter
($ 18 der Neuen Landschaftsordnung) die
Regentschaft übernommen hat. Ist keines
von beiden innerhalb eines Jahres seit der
Thronerledigung erfolgt, so wählt die
Landesversammlung nach $ 6 des Ge-
setzes auf Vorschlag des Regentschafts-
rates einen Regenten aus den volljähri-
gen, nicht regierenden Prinzen der zum
Deutschen Reiche gehörenden souverä-
nen Fürstenhäuser, welcher sodann die
Regierungsverwesung bis zum Regie-
rungsantritt des Thronfolgers fortführt.
Etwa erforderliche Wiederholung der
Wahl findet in gleicher Weise statt.
Der spätere Gang der Dinge hat ge-
zeigt, daß der Erlaß dieses Regentschafts-
gesetzes eine weise, für Dynastie und
Land gleich wertvolle Maßnahme gewe-
sen ist. Dem am 18. Okt 1884 erfolgten
Tode des Herzogs Wilhelm folgte un-
mittelbar die Proklamation des in Braun-
schweig garnisonierenden Brigadekom-
mandeurs, die von dem „unbeerbten“
Hinscheiden des Herzogs sprach, unter
Berufung auf den Bundesvertrag und die
Reichsverfassung für das Reich die Prü-
fung der Frage in ‘Anspruch nahm, wer
dem verstorbenen Landesherrn zu sukze-
dieren habe, und namens des Kaisers den
Oberbefehl über die braunschweigischen
Truppen übernahm. Das Staatsministerium
fügte sich ohne Widerstand, der Regent-
schaftsrat konstituierte sich, lehnte alsbald