Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

284 
der normalen Regentschaft des deutschen 
Staatsrechtes und von dem Vorliegen 
einer neugebildeten, völlig unbeschränk- 
ten „Regentschaft für den, den es an- 
geht‘, welchen sie in der Denkschrift vom 
3. März 1902 des längeren zu begründen 
suchte, hat das Regentschaftsgesetz zu 
einer Quelle tiefgehenden Streites ge- 
macht. Daß die Stellung der Regierung 
rechtlich nicht haltbar war, ergibt sich 
kurz aus folgendem: 1. Allgemeiner Cha- 
rakter des Gesetzes (s. oben); 2. Unmög- 
lichkeit einer verschiedenartigen Ausle- 
gung und Anwendung des Gesetzes je 
nach Lage des Falles, da sie allen sonsti- 
gen Rechtsgrundsätzen zuwiderlaufen 
würde; 3, historischer Grund: Es ist aus- 
geschlossen, daß Herzog Wilhelm mit 
dem Gesetz eine Suspension der verfas- 
sungsmäßigen Thronfolge seiner Dynastie 
beabsichtigt hat, die bei Verneinung der 
Landesherrneigenschaft vorliegen würde; 
4. Unverwertbarkeit des nur politische Be- 
deutung in sich tragenden, aber nicht 
Recht sprechenden oder schaffenden Bun- 
desratsbeschlusses für die Verneinung der 
Landesherrneigenschaf. Dem Reiche 
fehlt zudem die Zuständigkeit zum Ein- 
griff in die einzelstaatliche Thronfolge; 
auch abgesehen hiervon zwingt der Wort- 
laut des Beschlusses zu der Auslegung, 
daß nur die „Ausübung der Regierung“ im 
Gegensatz zur „Regierung als solcher‘ — 
Thronfolge inhibiert werden sollte, womit 
auch den preußischen Interessen, wenn 
man sie als maßgeblich ansehen will, hin- 
länglich Rechnung getragen wird; 5. es 
ist unbestrittener staatsrechtlicher Grund- ; 
. ministerium vom 15. Dez 1906 seinen und 
satz, daß sich die Thronfolge von selbst 
volizieht, daß also im Moment des Todes 
des früheren Landesherrn der neue ohne 
weiteres diese Eigenschaft erwirbt, so daß 
demnach spätere gegen ihn gerichtete 
Akte, aus denen — wie hier — die Aber- 
kennung bzw Suspension der Sukzession 
hergeleitet werden soll, einen unerlaubten 
Eingriff in die Thronfolge darstellen wür- 
den. — Im vorstehenden Sinne äußerte 
sich vielfacher entschiedener Widerspruch 
aus der juristischen Welt gegen den 
Standpunkt der Regierung, so daß diese, 
zumal sie selbst die Möglichkeit einer an- 
deren Auslegung wie der ihrigen zugeben 
mußte, es unternahm, für ihre Theorie 
ausdrückliche gesetzliche Anerkennung 
mittelst einer „authentischen Erklärung“ 
des Gesetzes von 1879 zu erstreben. Die- 
  
  
Braunschweig. 
ses ist geschehen durch das Gesetz, betr. 
die authentische Erklärung des $ 6 des 
Gesetzes vom 16. Febr 1879 Nr 3 wegen 
provisorischer Ordnung der Regierungs- 
verhältnisse bei einer Thronerledigung, 
vom 4. Dez 1902 Nr 48. Es schreibt vor, 
daß eine auf ‚Grund des Regentschafts- 
gesetzes eingetretene Regentschaft bei 
Wechseln in der Person des ‚erbbe- 
rechtigten Thronfolgers‘ nicht endigt, 
vielmehr so lange bestehen bleibt, bis 
ein an der aktuellen Ausübung der 
Regierung nicht behinderter erbberech- 
tigter Thronfolger die Regierung antritt. 
Daß hierdurch der Streit um die Landes- 
herrneigenschaft des Herzogs Ernst 
August in einem für die damalige Regie- 
rung günstigen Sinne entschieden worden 
sei, kann jedoch nicht anerkannt werden. 
Gegen das Gesetz ist die Einwendung er- 
hoben worden, daß dem Gesetzgeber die 
Zuständigkeit gefehlt habe, da nach 
staatsrechtlichen Grundsätzen der Regent 
nicht über die Dauer seiner eigenen Re- 
gentschaft Bestimmung treffen dürfe, na- 
mentlich aber, daß das Gesetz einen Ein- 
griff in das Recht der geltenden Thron- 
folge darstelle, so daß dasselbe mangels 
Zustimmung der berechtigten Agnaten 
unwirksam sei. 
Nach dem am 13, Sept 1906 erfolgten 
Tode des Prinzen Albrecht von Preußen 
ist das im Regentschaftsgesetz vorge- 
schriebene Verfahren zum zweiten Male 
in Anwendung gekommen. Abermals 
konstituierte sich der Regentschaftsrat. 
Nachdem alsdann der Herzog von Cum- 
berland in seinem Erlaß an das Staats- 
seines ältesten Sohnes, des Prinzen Georg 
Wilhelm, Verzicht auf die Regierung des 
Herzogtums zugunsten seines jüngsten 
Sohnes, des Prinzen Ernst August, ange- 
boten hatte, welcher letztere bereit sei, 
erforderlichenfalls auf seine Rechtsan- 
sprüche auf Hannover zu verzichten, hat 
sich der Bundesrat abermals mit der 
braunschweigischen Angelegenheit befaßt 
und am 28. Febr 1907 den nachfolgenden 
neuen Beschluß unter Stimmenthaltung 
Braunschweigs abgegeben: 
1. die Überzeugung der verbündeten Re- 
gierungen dahin auszusprechen, daß, so- 
lange Seine Königliche Hoheit der Herzog 
von Cumberland oder ein Mitglied Seines 
Hauses sich in einem dem reichsverfas- 
sungsmäßig gewährleisteten Frieden un-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.