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v. Mittnacht 1894 gegen die Weinsteuer)
von der Übung abgewichen, so katın der
Erfolg um so bedeutsamer sein. Diese
läßt sich nur aufrechthalten, wenn die
Mehrheit der Minderheit keine zu starken
Zumutungen macht.
Von den geschriebenen Grundsätzen
ist der wichtigste die einheitliche Stimm-
abgabe für jeden Staat, mag er noch so
viele (Haupt-) Bevollmächtigte ernannt
haben, R 6; er kann deren so viel berufen,
wie er Stimmen hat, und Stellvertreter in
beliebiger Anzahl. Unter den Bevoll-
mächtigten kommt danach die Rolle des
Stimmführers im Plenum nur einem, dem
obersten Ernannten der anwesenden Ver-
treter, zu; in den Ausschüssen als einem
Vorbereitungsstadium, auf welches Art 6
sich nicht bezieht, kommt verschiedene
Stimmabgabe mehrerer Vertreter eines
Landes vor, sei es, daß sie sich,
verschiedene heimische Ressorts im
Auge habend, vorläufig als verschieden in-
struiert oder ermächtigt ansehen, sei es,
daß sie mangels Instruktion nach persön-
lichem Ermessen stimmen. Für das Pile-
num führte Fürst Bismarck 1880 beson-
dere Sitzungen zur Feststellung der wichti-
geren Vorlagen an den Reichstag ein, in
möglichst rascher Konzentrierung, zwecks
jährlich mindestens einmaliger Anwesen-
heit der leitenden Staatsmänner selbst der
Einzelregierungen, GeschO 3, während
sonst die deutschen Gesandten am preu-
Bischen Hof oder anderen ersten in Berlin
wohnhaften Bevollmächtigten als Stimm-
führer dienen.
In formeller Hinsicht treten noch fol-
gende Grundsätze hervor:
a. Der Absenz oder Erklärung, nicht in-
struiert zu sein, s. II Abs 5, steht die
Stimmenthaltung gleich, die im Falle von
R 7 Abs 5 vorgeschrieben, sonst aber stets
gestattet ist. In der Wirkung steht ihr
gleich, sich das Protokoll offenzuhalten ;
denn die Abstimmung wird gleichwohl so-
fort geschlossen (etwa nachträgliche Äuße-
rung ist nur eine Feststellung, ob der
Staat den Beschluß billigt oder mißbilligt),
und nicht positiv oder negativ abgegebene
Stimmen werden dabei nicht gezählt; eine
Mindestzahl der Beschlußfähigkeit ist
nicht begehrt. Die Stimmenthaltung kann
sehr wohl des Vertreters Instruktion bil-
den, z. B. indem sich ein Staat für eine
Sache außerhalb des Streits stellen will.
b. Jeder stimmführende Bevollmächtigte
Bundesrat.
kann in Verhinderungsfällen sich den Be-
vollmächtigten eines anderen Staates sub-
stituieren, jedoch nur für eine Sitzung und
auch in weiterem Akt nicht etwa gleich
wieder für die folgende, GeschO 2; denn
die Vertretung jeder Regierung durch
eigene Bevollmächtigte muß die Regel
bilden, unbeschadet der Zulassung, daß
mehrere Staaten gemeinsam einen Bevoll-
mächtigten haben.
c. Jede Regierung hat das Antragsrecht,
welches durch Einreichung seitens der Be-
vollmächtigten geübt wird. Präsidialan-
träge, welche nicht von Preußen, sondern
von dem Reichskanzler als solchem aus-
gingen, kennt die Verfassung nicht, ob-
wohl es Gegenstände, wie z. B. völker-
rechtliche Verträge des Reichs, gibt, deren
Einbringung virtuell auf Initiative namens
des Kaisers zurückgeht. Die Praxis hat
aber Präsidialanträge eingeführt in der
Zeit, in welcher die Personalunion zwi-
schen den Ämtern des Kanzlers und des
preußischen Ministerpräsidenten durch-
brochen war, und der BR sie zugelassen.
Zweifellos steht zwar nicht vor, aber hin-
ter ihnen die preußische Stimme, so daß
es sich nur um einen Formunterschied
handelt. Über die Behandlung von An-
trägen über einen neuen Gegenstand kann
nur das Plenum befinden, das Präsidium
hat nie ein Ablehnungsrecht. Anträge an
die Ausschüsse erfolgen nur, solange eine
dahin überwiesene Sache dort anhängig
ist, und haben für das Plenum, wenn ab-
gelehnt, keine Bedeutung mehr, müßten
also eventuell später dort neu eingebracht
werden.
Bezüglich der materiellen Geschäftsbe-
handlung hat das Plenum rechtlich freie
Hand, über seine Einläufe (Mitteilungen
des Reichstags, Anträge der Bundesstaa-
ten, Eingaben, Rekursgesuche) nur selbst
zu beschließen oder eine Berichterstattung
der Ausschüsse vorausgehen oder ein-
schieben zu lassen; nur werden Rekurs-
gesuche gegen zwangsweise Versetzung
in den Ruhestand, 866 RBeamtenGes von
1873, unmittelbar dem Justizausschuß
überwiesen, mit späterem Vortrag im
Plenum, und bestehen für Gesetzent-
würfe und sonstige wichtige Vorlagen
vorgeschriebene Beratungsstadien und
-fristen. Tatsächlich ist die Vorbehand-
lung in den Ausschüssen, und zwar den
dauernden, für alle Gegenstände von Be-
deutung die Regel; außerordentliche Aus-