Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

Fahrlässigkeit. 
herrschende Meinung, vgl auch RG 29 
218, 34 91, verneint die fahrlässige Tö- 
tung, weil der Täter den außergewöhn- 
lichen Kausalverlauf nicht hätte vorher- 
sehen können. Richtiger muß auch 
hier die generelle Voraussehbarkeit ent- 
scheiden. _ 
In $ 316 Abs 2 stellt das S der fahr- 
lässigen Eisenbahntransportgefährdung in 
Abs 1 den Fall gleich, daß die Eisenbahn- 
angestellten durch Vernachlässigung der 
ihnen obliegenden Pflichten den Trans- 
port in Gefahr setzen. Es ist also nicht 
notwendig, daß der Fahrer, der den elek- 
trisch betriebenen Straßenbahnwagen mit 
einer unzulässigen Geschwindigkeit be- 
wegt, in concreto damit hätte rechnen 
müssen, daß er auf den vor ihm fahrenden 
Motorwagen aufstoßen könne; zu seiner 
Bestrafung genügt die Feststellung, daß 
der transportgefährdende Erfolg nicht ein- 
getreten wäre, hätte er das vorgeschrie- 
bene Fahrtempo eingehalten. Es läßt sich 
hier von einer abstrakten Fl reden. 
Die Strafbarkeit der Fl ist nach deut- 
schem Reichsrecht im allgemeinen davon 
abhängig, daß sie einen rechtsverletzen- 
den Erfolg herbeigeführt hat. Es gibt 
m. a. W. keinen strafbaren Versuch eines 
fahrlässigen Delikts. Mag jemand noch 
so unvorsichtig in Gegenwart von Men- 
schen mit dem geladenen Gewehr um- 
gehen — solange nicht ein Mensch durch 
einen losgehenden Schuß verletzt wird, 
ist er straflos. Im Fahrlässigkeitsdelikt 
steckt also ein gutes Stück alter Erfolgs- 
haftung. Auch nach der Richtung, daß 
es bei gleich hohem Grade von Unvor- 
sichtigkeit nur von der Beschaffenheit des 
verletzenden Erfolges abhängt, welcher 
Strafe der Täter verfällt: Trifft in unserem 
Falle der losgehende Schuß einen der An- 
wesenden in den Arm, kann der Besitzer 
des Gewehrs wegen fahrlässiger Körper- 
verletzung mit Geldstrafe bestraft werden, 
S 230; trifft der Schuß tödlich, entgeht der 
Täter der Strafe des Gefängnisses wegen 
fahrlässiger Tötung nicht, $ 222. Soll 
nun etwa im künftigen S fahrlässiges Ver- 
halten schlechthin, d. h. ohne Rücksicht 
auf die Tatsache und die Art der einge- 
tretenen Verletzung für strafbar erklärt 
werden? Das praktische Bedenken unge- 
messener Ausdehnung des ius puniendi 
und erheblicher Beweisschwierigkeit wird 
den Gesetzgeber darauf beschränken 
müssen, in noch weiterem Umfange, wie 
  
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es das geltende Recht im 29. Abschnitt 
des S tut, bestimmte Handlungen als an 
sich gefährliche unter Strafe zu stellen. 
Ein singuläres Gefährdungsdelikt stellt 
17 des Impfges vom 8. April 1874 auf: 
straft wird, wer bei Ausübung einer 
Impfung fahrlässig handelt. Die in $ 21 
des PrG vom 7. Mai 1874 ausgesprochene 
Strafbarkeit verschiedener an Herstellung 
und Verbreitung eines Preßerzeugnisses 
beteiligter Personen wegen Fl fügt sich 
dagegen systematisch ohne Zwang in den 
Rahmen der fahrlässigen Begehung des 
Preßdelikts ein. 
Unter dem Gesichtspunkt ökonomischer 
Handhabung des staatlichen Strafrechts 
bildet die Bestrafung fahrlässiger Ver- 
gehen die Ausnahme. Ausdrücklich be- 
droht das S die fahrlässige Begehung mit 
Strafe in folgenden Fällen: Tötung und 
Körperverletzung (88 222, 230), Gefange- 
nenbefreiung (88 121, 347), Falscheid 
($ 163), Brandstiftung und Überschwem- 
mung ($8 309, 311, 314), Gefährdung 
eines Eisenbahntransportes ($ 316), Hin- 
derung oder Störung von Telegraphenan- 
stalten usw (8 318), Zerstörung oder Be- 
schädigung von Wasserleitungen, Schleu- 
sen usw (88 321, 326), Zerstören oder 
Unbrauchbarmachen von Feuerzeichen 
für die Schiffahrt (88 322, 326), Stran- 
dung eines Schiffes ($$ 323, 326), Ver- 
giftung von Brunnen und Gebrauchs- 
gegenständen (88 324, 326), Nichterfüllen 
von Lieferungsverträgen (88 329 Abs 2), 
Vollstrecken nicht zu vollstreckender 
Strafen durch Beamte ($ 345). 
Aus den Reichsstrafnebengesetzen seien 
als die wichtigsten Fahrlässigkeitsdelikte 
hervorgehoben: Fahrlässige Nachbildung 
von Mustern und Modellen (Ges betr Ur- 
heberrecht an Mustern und Modellen vom 
11. Jan 1876 8 14), Vergehen aus $ 21 
des Preßgesetzes (s. o.), Vernachlässigung 
der Desinfektion bei Viehbeförderungen 
(Ges betr die Beseitigung von An- 
steckungsstoffen vom 15. Febr 1876 8 5), 
Nahrungsmittelfälschung (Nahrungsmit- 
telges vom 14. Mai 1879 88 11, 14), Ges 
betr den Schutz des Reichskassenschein- 
papiers vom 26. Mai 1885 $ 2, Ges gegen 
den Verrat militärischer Geheimnisse vom 
3, Juli 1893 & 7, Margarinegesetz vom 
15. Juni 1897 | 17 Nr 2, Ges betr die Er- 
werbsgenossenschaften, Fassung vom 
20. Mai 1898 8 148, Ges betr die Oesell- 
schaften m. b. H., Fassung vom selben
	        
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