544
fähigkeit des Mannes kommt es daher vor
allem darauf an, ob er gehörig und auch
gesundes Sperma zu entwickeln vermag
oder nicht. Der Beginn der Zeugungs-
fähigkeit ist von klimatischen und sozialen
Verhältnissen abhängig. Bei uns tritt die
männliche Geschlechtsreife gemeinhin
zwischen dem vollendeten 15. und 18.
Jahre ein. In Fällen von angeblichen
Schwängerungen, die Knaben unter 14
Jahren zur Last gelegt werden, dürfte der
Nachweis von Spermaflecken in der
Wäsche nicht unwichtig sein; denn den
sogenannten sekundären Geschlechts-
merkmalen (Stimmwechsel, männliches
Aussehen, Eintritt des Bartwuchses, Völle
der Hoden, Behaarung der Genitalien
usw) allein ist keine Beweiskraft zuzu-
schreiben. Die Sistierung der Spermato-
zoiden kommt nicht dem Greisenalter an
sich zu; denn es sind Fälle bekannt, in
denen noch bei über 80jährigen Greisen
Samenfäden gefunden wurden; im allge-
meinen dürfte jedoch die Bildung von Sa-
menfäden mit dem 70. Lebensjahre en-
den. Die Zeugungsfähigkeit kann durch
Atrophie der Hoden (Hodenschwund),
Infantilismus (Verbleiben der Hoden auf
kindlicher Stufe), Steckenbleiben der Ho-
den im Leistenkanal (Kryptorchismus) be-
einträchtigt sein; Schwund der Hoden
wieder kann verursacht werden durch
frühzeitige, maßlose Onanie, durch Ho-
denentzündung, durch Wasserbruch (Hy-
drozele), Krampfaderbruch (Varikozele),
durch Geschwülste des Hodensackes usw ;
auch chronische Ernährungsstörungen
durch Alkoholismus, Morphinismus erzeu-
gen Hodenatrophie und damit Sterilität.
Zunächst wird in allen diesen Fällen die
Bildung der Samenfäden und dann erst die
Samenflüssigkeit geschädigt, so daß die
Azoospermie der Äspermie stets voraus-
geht. Quetschungen der Hoden (Trau-
men) beeinträchtigen die bzw führen Ver-
lust der Zeugungsfähigkeit herbei; neuer-
dings hat Albers-Schönberg festgestellt,
daß auch Röntgenstrahlen Azoospermie
bzw Oligo-Nekrospermie, d. i. teilweise
Aufhebung der Bildung der Samenfäden
auszulösen vermögen; auch beim weib-
lichen Geschlecht soll es nach Halber-
städter durch Röntgenbestrahlung zu einer
Atrophie der Eierstöcke kommen können.
Die normale Beschaffenheit der vasa de-
ferentia (Ausscheidungswege des Samens)
ist nicht weniger wichtig als die der Ho-
Fortpflanzungsfähigkeit.
den bzw Geschlechtsdrüsen selber. Man
hat behufs Aufhebung der Zeugungsfähig-
keit gewisser Individuen neuerdings die
Ausschneidung des vas deferens (in Indi-
ana) mit gutem Erfolge vorgenommen. Es
können Verwachsungen der vasa deferen-
tia, abnorme Ausmündung der ductus eja-
culatorii in die Blase vorhanden sein; je-
doch ist dies selten. Entzündliche Pro-
zesse, besonders Tripper, sind Ver-
anlassungen. Eichelhypospadie und -pi-
spadie sind bereits oben abgehandelt und
ihre nur bedingte Beeinflussung der impo-
tentia coeundi vel gignendi hervor-
gehoben.
Die Zeugungsfähigkeit beim Weibe teilt
sich gleichfalls in eine potentia coeundi
und eine potentia concipiendi vel gene-
randi. Die Beischlafsfähigkeit des Weeibes
ist abhängig von der genügenden Größe
der Genitalien, die erst mit der Pubertät
eintritt. Diese zeigt sich in unseren Brei-
ten gewöhnlich mit dem 14.—16. Jahre
und signalisiert sich im allgemeinen durch
die erste Menstruation (Periode). Es
kommen jedoch auch Fälle vor, in denen
die Geschlechtsreife früher vorhanden ist
als die Regel. Eine wesentliche und un-
umgängliche Bedingung für die Bei-
schlafsfähigkeit des Weibes ist die Zu-
gänglichkeit der Scheide für das erigierte
Glied. Fehlen der Vagina, Verengerung
derselben (Atresie) oder des Scheidenein-
ganges, Verwachsungen der Scheiden-
wände, Mißbildungen des Scheidenein-
ganges oder der Scheide bilden ein Hin-
dernis für die Begattung; Geburtsver-
letzungen z. B. können dies herbeiführen.
Verengerung des Beckens bei Knochener-
weichung z. B. (Osteomalazie), Gebär-
muttervorfall, große Leistenbrüche sind
gleichfalls anzuschuldigen und können
Gründe für Ehetrennung bzw Eheanfech-
tung bieten. Ein ziemlich häufiges Vor-
kommnis in jungen Ehen bildet der soge-
nannte Vaginismus, ein Krampf der Schei-
den- und Beckenmuskulatur, der es ver-
hindert, daß der Coitus ausgeführt wird.
Diese Fälle sind meist durch örtliche,
leicht zu beseitigende Zustände verur-
sacht. Sie können aber auch auf nervöser
Grundlage (meist hysterischer) beruhen
und lassen sich alsdann viel schwerer be-
urteilen. Wichtig wird hierbei, daß fest-
gestellt wird, ob nicht der Mann etwa bei-
schlafs- und zeugungsunfähig ist und nicht
dessen vergebliche Kohabitationsversuche