Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

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Reichsgesetzblatt erhält kein Gz verbind- 
liche Kraft. 
7. Die Wirkungen der Gze beruhen 
teils auf der Form, teils auf dem Inhalt 
derselben; demnach ist die formelle und 
die materielle Gesetzeskraft zu unter- 
scheiden. 
a. Die formelle Gesetzeskraft ist der 
Rechtssatz, daß ein in der Form des Gzes 
ergangener Willensakt des Staats oder 
Reichs nur im Wege der Gesetzgebung 
aufgehoben oder abgeändert werden kann 
und seinerseits allen mit ihm in Wider- 
spruch stehenden älteren Anordnungen 
derogiert. Dieser Satz gilt von allen Ge- 
setzen, gleichviel worin ihr Inhalt besteht. 
Die formelle Gesetzeskraft tritt ein, so- 
bald das Gz verkündet ist, auch wenn es 
materiell noch nicht in Kraft getreten ist; 
ein im Gz bestimmter Anfangstermin sei- 
ner Geltung bezieht sich nicht auf die for- 
melle Gesetzeskraft. Die letztere tritt 
stets für das ganze Gz ein, während die 
materielle Geltung für verschiedene Teile 
eines Gzes zu verschiedenen Zeitpunkten 
beginnen kann. Die formelle Gesetzes- 
kraft kann ferner gesteigert werden, wenn 
für die Abänderung des Gzes, z. B. einer 
Anordnung der Verfassung, erschwerende 
Erfordernisse aufgestellt werden; sie kann 
auch vermindert werden, wenn die Ab- 
änderung erleichtert, z. B. durch eine Ver- 
ordnung zugelassen wird. 
b. Die materielle Gesetzeskraft be- 
stimmt sich nach dem Inhalt des Gzes. 
Wenn es die Rechtsordnung betrifft, so 
hat es die Wirkungen, welche dem betref- 
fenden Rechtssatz eigen sind; es kann 
eine Ermächtigung oder Erlaubnis, ein 
Gebot oder Verbot, eine Strafandrohung 
oder die Gewährung eines Anspruchs ent- 
halten. Das Gz kann aber auch Anwei- 
sungen für die Behörden oder andere 
Verwaltungsvorschriften, Ermächtigun- 
gen der Behörden zum Abschluß gewisser 
Rechtsgeschäfte oder zur Anordnung ge- 
wisser Maßregeln zum Inhalt haben oder 
einen Wirtschaftsplan (Etat) aufstellen; 
es kann auch zum Teil Rechtsvorschriften, 
zum Teil Verwaltungsvorschriften enthal- 
ten. Der Gesetzgeber kann den Zeitpunkt 
bestimmen, mit welchem die materielle 
Wirkung des Gzes eintreten soll; wenn 
in einem Reichsgz eine solche Anordnung 
nicht enthalten ist, so beginnt die ver- 
bindliche Kraft des Gzes mit dem 14. Tage 
nach dem Ablauf desjenigen Tages, an 
  
Gesetz — Gesetzgebung im Deutschen Reich. 
welchem das betreffende Stück des RGBI 
in Berlin ausgegeben worden ist, R 2. 
Dieser Termin gilt für das ganze Bundes- 
gebiet; die größere oder geringere Ent- 
fernung von Berlin macht keinen Unter- 
schied. Laband. 
Gesetzesanalogie s. Analogie. 
Gesetzeskonkurrenz ist vorhanden, 
wenn eine Lebenserscheinung sich unter 
mehrere Gesetzesbestimmungen bringen 
läßt, wenn also der tatsächliche Vorgang 
rechtlich verschieden beurteilt werden 
kann. Sie tritt vorwiegend im Strafrecht 
auf: Eine strafbare Handlung kann die 
Merkmale verschiedener gesetzlicher Ver- 
brechensbegriffe enthalten, so daß es frag- 
lich wird, ob sie unter diesen oder jenen 
Gesetzesparagraphen zu bringen ist. In 
solchen Fällen ist immer nur ein Ver- 
brechen vorhanden, nämlich das, dessen 
gesetzlicher Tatbestand sich mit der Hand- 
lung am vollständigsten deckt, und es 
kommt daher nur ein Strafgesetz zur An- 
wendung. Dadurch unterscheidet sich die 
Gesetzeskonkurrenz einerseits von der 
Idealkonkurrenz, andererseits von der 
Realkonkurrenz. 
Hauptfälle: Spezialbestimmungen ge- 
hen den Generalbestimmungen vor; man 
darf daher eine Majestätsbeleidigung nur 
als Majestätsbeleidigung, nicht auch als 
Beleidigung bestrafen. Eine Bestimmung 
über die Vollendung eines Verbrechens 
schließt die Anwendung einer Bestim- 
mung über die Vorbereitung dieses Ver- 
brechens aus, z. B. beim Hochverrat. 
Wenn ein Gesetz aus den Elementen meh- 
rerer besonderer Verbrechen ein zusam- 
mengesetztes Verbrechen bildet, und 
ferner, wenn ein Gesetz gewisse Hand- 
lungen, die schon für sich besonders straf- 
bar sind, als erschwerende Umstände 
eines anderen Verbrechens behandelt, so 
kommt nur das kompliziertere Gesetz zur 
Anwendung; die gewaltsame Wegnahme 
fremder Sachen ist daher nur als Raub, 
nicht als Diebstahl und Nötigung, der 
Diebstahl verübt durch Einbruch ist nur 
als Einbruchsdiebstahl, nicht als Diebstahl 
und Sachbeschädigung zu betrachten. 
Das S überläßt alle diese Fälle der 
Wissenschaft und der Auslegung; eine ge- 
setzliche Bestimmung fehlt. 
Stichwörter: Idealkonkurrenz, Reslkonkurrenz. 
Olshausen Komm zu S 73 Anm 12—14; Bindin 
Handbuch des Strafrechts, 85, 1 224, 333, 517—588 (51 
bis 518 ausführliche Literaturangabe). Ratziatt. 
Gesetzgebung (Weg der — im Deut-
	        
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