Gesetzgebung im Deutschen Reich.
schen Reich). Die Reichsgesetzgebung
wird ausgeübt durch den Bundesrat und
den Reichstag. Die Übereinstimmung der
Mehrheitsbeschlüsse beider Versamm-
lungen ist zu einem Reichsgesetz erforder-
lich und ausreichend, R 5. Der Kaiser ist
nicht Faktor der Reichsgesetzgebung, son-
dern übt lediglich als König von Preußen
durch seine Stimmen und besonderen Be-
fugnisse im Bundesrate, durch die Ernen-
nung des Reichskanzlerss usw einen
— allerdings hervorragenden — Einfluß
auf die Gesetzgebung des Reiches, na-
mentlich auf die Willensgestaltung im
Bundesrate aus; denn es ist klar, daß die
Macht Preußens, dessen reelles Überge-
wicht über die anderen deutschen Staaten
oft entscheidet.
Der Weg der Reichsgesetzgebung ist
— mutatis mutandis— der gleiche, ob es
sich nun um Gesetze handelt, welche die
verbündeten Regierungen anregen, oder
um solche, welche der Initiative des
Reichstags entspringen, vgl R 23. Der
normale Fall ist, daß die Zentralgewalt
des Reiches, also der Bundesrat, Gesetze
vorschlägt, d. h. Gesetzentwürfe ein-
bringt.
Die erforderlichen Vorlagen werden
nach Maßgabe der Beschlüsse des Bun-
desrats im Namen des Kaisers an den
Reichstag gebracht, R 16. Man erwartet
nach der ganzen staatsrechtlichen Struk-
tur des Reiches eigentlich die Einbringung
im Namen des Reiches oder der verbün-
deten Regierungen. In der Verfassung des
Norddeutschen Bundes hieß es: Das ‚„Prä-
sidium‘‘ hat die erforderlichen Vorlagen
nach Maßgabe der Beschlüsse des Bun-
desrates an den Reichstag zu bringen.
Eine materielle Änderung involviert die
jetzige Fassung nicht; durch sie erhielt der
Kaiser — als solcher — gegenüber dem
Reichstage kein selbständiges Recht der
Initiative, sondern nur eine formelle Be-
fugnis. Von dieser darf er nach dem
klaren Wortlaute (und dem Geiste) der
Bestimmung nur Gebrauch machen, wenn
der Bundesrat, und nur so, wie bzw ins>-
weit der Bundesrat beschlossen hat.
Innerhalb des Bundesrates selbst hat
jedes Mitglied des Reiches, also jeder Ein-
zelstaat, das Recht (durch seine Vertreter)
Gesetze vorzuschlagen und die entspre-
chenden Vorlagen einzubringen, auch
Preußen natürlich. Die Frage ist wichtig
und praktisch von Bedeutung, ob der Kai-
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ser als solcher (also nicht etwa Preußen
bzw der König von Preußen) Vorlagen im
Bundesrat einbringen kann. Die staats-
rechtliche Bedeutung dieser Frage zeigt
folgender Unterschied: Bringt der Kaiser
(immer als solcher!) eine Vorlage ein, so
ist dies Reichssache, er handelt als Reichs-
organ und muß sich höchstens mit dem
Reichskanzler als einzigem Reichsminister
(bei Personalunion zwischen beiden Äm-
tern nicht etwa in dessen Eigenschaft als
preußischem Ministerpräsidenten) ins Ein-
vernehmen setzen; die Vorlage braucht
hingegen nicht das Königlich Preußische
Staatsministerium zu passieren. Anders,
wenn der Kaiser als Mitglied des Bundes,
als König von Preußen eine Vorlage
macht. In diesem Falle schlägt Preußen
etwas vor, woraus sich möglicherweise
eine Verantwortung des preuß Staatsmini-
steriums gegenüber der preuß Volksver-
tretung (dem Landtage) ergibt. Hier liegt
offenbar ein Internum Preußens vor und
die (preuß) Minister müssen vorher ge-
hört werden. Die Regel ist, daß der
Kaiser im Bundesrate als Mitglied des
Reiches handelt; es gibt jedoch Ausnah-
men. Der Bundesrat beschließt z. B. über
die bei der Ausführung von Reichsge-
setzen hervortretenden Mängel und kann
bei Vorhandensein eines solchen die sog
(Bundes-)Exekution beschließen, welche
der Kaiser dann vollstreckt, R 19. Nun
steht, R 17, die Überwachung der Aus-
führung der Reichsgesetze dem Kaiser zu:
dieser muß daher durch eine entspre-
chende Vorlage den Bundesrat instand-
setzen, darüber zu urteilen, ob ein Mangel
vorhanden ist oder nicht. Ein weiteres
Beispiel: Zum Abschluß von Verträgen
mit fremden Staaten über Gegenstände
der Reichsgesetzgebung ist die Zustim-
mung des Bundesrats erforderlich, R 11
Abs 3. Der Kaiser (welcher als solcher
den Vertragsabschluß bewirkt, R 11
Abs 1) muß also in dieser seiner Eigen-
schaft dem Bundesrate eine bezügliche
Vorlage machen.
Ist eine Gesetzesvorlage im Namen des
Kaisers (s. o.) an den Reichstag gebracht
worden, so berät und beschließt dieser
darüber in Gemäßheit der Reichsverfas-
sung und seiner eigenen Geschäftsord-
nung. Es finden in der Regel drei Lesun-
gen statt, die erste als General-, die zweite
als Spezial-, die dritte als General- und
Spezialdiskussion des Entwurfs. Geset-