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füllen sollte und vom Reichtstage ange-
nommen wurde.
Dieses Notgewerbegesetz wurde unter
dem 8. Juli 1868 erlassen, BGBl 406, es
sollte keineswegs die endgültige Kodifi-
kation überflüssig oder auch nur für län-
gere Zeit entbehrlich machen. Die Um-
stände drängten auch stark nach einer ge-
setzlichen Basis. So sah sich‘ die Bun-
desregierung veranlaßt, im nächsten Jahre
schon den einmal zurückgewiesenen oder
doch wenigstens stark bekämpften Ent-
wurf mit etlichen Modifikationen dem
Reichstage vorzulegen. Die Regierung
war den liberalen Parteien mit diesen Än-
derungen, die sich hauptsächlich auf das
Gebiet der Kolportage und der Zwangs-
und Bannrechte bezogen, entgegengekom-
men, dennoch entbrannte auch in diesem
Jahre um die Vorlage ein heftiger Kampf,
der sich insbesondere auch auf die Ge-
werbebetriebe im Umherziehen bezog.
Trotz vielfacher Änderungen und Abstriche
der von den verbündeten Regierungen
als Mindestforderungen bezeichneten Be-
stimmungen nahm der Bundesrat den im
Reichstage angenommenen Gesetzent-
wurf ebenfalls an, hauptsächlich weil die
Zeit unabänderlich eine breitere Regelung
der Gewerbeverhältnisse dringend er-
heischte. Die so zustande gekommene
Gw des Nordd Bundes ist unter dem
21. Juni 1869 veröffentlicht worden, BGBi
245, und trat zum Teil am 1. Okt 1869,
zum Teil am 1. Jan 1870 in Kraft, mit wel-
chem Datum das Notgewerbegesetz seine
Gültigkeit verlor.
Infolge der Vereinbarung zwischen dem
Nordd Bund und Baden und Hessen über
Gründung des Deutschen Bundes wurde
die Gw in Südhessen am 1. Jan 1871 ein-
geführt, BGBI 650. Die Einführung in
Baden unterblieb zunächst. Durch die V
des Deutschen Reiches wurde der Gel-
tungsbereich der Gw nicht erweitert, sie
wurde jedoch zum Reichsgesetze erklärt.
Auf Antrag Württembergs und Badens
legte der Reichskanzler dem Reichstage
am 1. Nov 1871 einen Gesetzentwurf vor,
welcher die Ausdehnung der Gw auf diese
Länder aussprach, RTD 37. Dieses Ge-
setz wurde am 10. Nov 1871 erlassen,
RGBI 392. Auf dem gleichen Wege er-
folgte die Einführung der Gw in Bayern
durch Gesetz vom 12. Juni 1872, RGBI
170. In Elsaß-Lothringen sind die einzel-
nen Teile der Gw zu verschiedenen Zei-
Gewerbeordnung.
ten eingeführt worden, und zwar durch
die Gesetze vom 15. Juli 1872, RGBI 350,
GesBi f. Els-L 534, 14. Mai 1877, 16. Mai
1877, 14. März 1884, 17. März 1884,
19. März 1884, erst durch das Gesetz vom
27. Febr 1888, RGBi 57, mit Kraft vom
1. Jan 1889, ist die Gw als Ganzes in den
Reichslanden in Geltung.
Es hat wohl kein Reichsgesetz so viele
Änderungen erfahren wie gerade die Gw.
Unsere mächtig sich entwickelnde Indu-
strie und die rühmliche Führerschaft
Deutschlands auf den Gebieten sozialer
Arbeiterfürsorge sind die Hauptangel-
punkte dieser Änderungen gewesen. Klei-
nere Änderungen trafen bereits die Ge-
setze vom 2. März 1874, 4. Nov 1874,
11. Juni 1878, die erste größere Reform
das Gesetz vom 8. April 1876, das
sich hauptsächlich auf die Unterstüt-
zungskassen bezog. Die Bestimmun-
gen über die Arbeiterverhältnisse im
Titel VII und X wurden unter dem
17. Juli 1878 gesetzlich umgestaltet. Nach
kleineren Änderungen durch die Gesetze
vom 23. Juli 1879 und 15. Juli 1880 er-
streckte sich die nächste größere Revision
auf das Innungswesen und fand im Ge-
setze vom 18. Juli 1881 ihren Nieder-
schlag. Einschränkungen in der Zulas-
sung großer Betriebe im Interesse der Ar-
beiter wurden im Gesetze vom 1. Juli
1883 festgelegt, in dem auch die Normen
über den Gewerbebetrieb im Umherzie-
hen einer Revision unterworfen wurden.
Dieses Gesetz ist eines der wichtigsten
neueren Gewerbegesetze. (S. darüber ge-
nauer v. Landmann 10—12.)
Das am 15. Juni 1883 erlassene Gesetz
über die Krankenversicherung der Arbei-
ter berührt ebenso wie das Gesetz betr die
Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 die
Bestimmungen der Gw erheblich. Das
Innungswesen fand eine erneute Reform
im Gesetz vom 8. Dez 1884. Die erhöhte
staatliche Arbeiterpolitik spiegelt sich in
den Bestimmungen des Ges vom 1. Juni
1891 wider. Die Wucher- und Sonntags-
ruheregeln sind gleichfalls aus diesen
Jahren. Die ständige Streitfrage der ge-
setzgebenden Teile des Reichstags war
der Gewerbebetrieb im Umherziehen,
nachdem schon die Feststellung ganz all-
gemeiner Normen einmal mit dazu bei-
getragen hatte, die Regierung auf die Gw
verzichten zu lassen, hatte er nach der Ko-
difikation des Gewerberechts, wie wir ge-