Gewerbliche Kampfmittel — Gewere.
so würde das Interesse an den erstrebten
günstigeren Lohnbedingungen im allge-
meinen eine so schwere Schädigung nicht
aufwiegen. Auch Schäden, die als Neben-
folgen nicht nur die Boykottierten, son-
dern das ganze wirtschaftliche Leben
treffen, können berücksichtigt werden,
z. B. bei Streiks. Wenn vollends das er-
strebte Ziel überhaupt kein schutzwür-
diges ist, so rechtfertigt es auch nicht die
geringste Schädigung der Gewerbstätig-
keit, so bei den Racheboykotts. Auch die
bloße Gefahr, daß eine unverhältnis-
mäßige Schädigung durch den Gebrauch
ungeeigneter und unverhältnismäßig star-
ker Mittel entstehen werde, vermag die
Anwendung trotz des berechtigten Ziels
widerrechtlich zu machen, weil eben damit
leicht über das Ziel hinausgeschossen und
ein schwerer Schaden, der nicht mehr im
gerechten Verhältnisse steht, verursacht
werden kann. Das erstrebte Ziel braucht
im übrigen nicht ausschließlich auf wirt-
schaftlichem Gebiete zu liegen. Auch ein
Boykott und Verruf, der politische, natio-
nale, soziale Ziele verfolgt, kann um eben
dieser lobenswerten Ziele willen in Wah-
rung berechtigter Interessen vorgenom-
men werden und damit keine Widerrecht-
lichkeit enthalten.
Erachtet man nach dieser Betrachtungs-
weise das Persönlichkeitsrecht auf ge-
werbliche Betätigung durch Streik, Aus-
sperrung, Boykott und Verruf für verletzt,
so gewinnt man die Füglichkeit, auch
gegen bloß objektive Verletzung, bloß ob-
jektive Beeinträchtigung der Erwerbstä-
tigkeit nach B 1004 mit der Unterlassungs-
klage vorzugehen, falls nicht diese Hand-
lungen nach dem Ausgeführten in Verfol-
gung berechtigter Interessen unter-
nommen und daher erlaubt waren, und
zwar ohne daß es bereits zu einer Vermö-
gensbeschädigung gekommen zu sein
brauchte. Das ist ein wichtiger Unter-
schied gegenüber der Anwendung des
B 826, der eine solche stets voraussetzt.
Und auch die Haftung für den verur-
sachten Schaden findet nicht nur dann
statt, wenn dieser vorsätzlich zugefügt
wurde, sondern schon bei fahrlässigem
Handeln, B 823 Abs 1. Auch hierdurch
unterscheidet sich die Auffassung von der-
jenigen, die nur aus B 826 haften läßt.
O. Bähr Die Grenzen der Rechtsprechung, Grenzboten
98 1; v. Bröcker Schadenersatzansprüche aus dem Lohn-
kampfe, Hamburg 06; Brückmann Das Reichsgericht
und die schwarzen Listen , JW 02 626f; Ettinger
Schadenersatzpflicht wegen "Verrufserklärungen, Verhandl
665
des 39. Deutschen Juristentages 4 (Gutachten) 185; v. Elm
Der Boykott als Waffe im wirtschaftlichen Kampfe, Soz
Monatshefte 05 87 ff; v. Heckel Schmollers ahrbuch
85 481 ff; Herkner Die irische Agrarfrage, Jahrbuch für
Nat u. Stat 90 483; A. Kleeberg Schmollers Jahrb
04 1053 ff; Kiehl Vier Begriffsmerkmale des $ 153 Gw
Gruchots Beitr 52 23; E. Liechti Die Verrufserklärungen
im modernen Erwerbleben, Zürich 97; Landmann Zum
Koslitionsrecht, DJZ 0S 265 ff: A. Lobe Welche zivil-
rechtlichen Folgen knüpfen sich an die im modernen Lohn-
kampf üblichen Verrufserklärungen, insbeaondere an das
Verbot des Einkaufs u. Verkaufs des "Arbeitgebers u. Arbeit-
nehmers? Bericht f. d. 29. Deutschen Juristentag 5b 173;
derselbe DJZ 08 984; Th. Löwentfeld Koslitions- un
Sirafrecht, ArchBozG 14 471 ff; Lotmar Der unmoralische
Meyer Recht 04 357 ff: Müller Ge-
werkse aften und Privatrecht, Soz Monatshefte 08 1024 ff;
Oertmann Welche zivilrechtlichen Folgen usw Gut
ehten für den 28. Deutschen Juristentag 2 33; E. Pape
Welche zivilrechtlichen Folgen usw, Gutachten Eur den
29. Deutschen Juristentag 4 246; v. Philippovich
Volkswirtschaftspolitik, 2. TI, 07, In Marquardsens Hand-
buch des öffentlichen echts; Roth Koalitionsrecht und
Erpressung, Soz Monatshefte 04 546 fi, Rosin Bericht
für den 29. Deutschen Juristentag 5 195; Stammler
Die Lehre vom richigen Recht, 02, 442, 488: Steinbach
Die Moral als Schranke des Rechtserwerbs und der Rechts-
ausübung, 98; Wiener ZHR 40 36? ff; Sartorius
von Walterhausen Boykotten, ein neues Kampf-
mittel der amerikanischen Giewerkvereine, Jahrb für Nat
und Stat 45 1f; ab Yberg Die Streiks und ihre Rechts-
folgen, Zürich 03. b
Lobe.
Gewerbs-, gewohnheitsmäßige
Verbrechen, auch Kollektivverbrechen
genannt, werden begangen mit dem Be-
wußtsein der Widerrechtlichkeit und mit
der Absicht der steten Wiederholung zur
Erzielung von Gewinn oder infolge
einer durch Übung ausgebildeten bewuß-
ten oder unbewußten Neigung zur Wie-
derholung.
Stichwörter : Realkonkurrenz; Idealkonkurrenz.
Binding Handbuch des Strafrechte, 85, En
atzlaft.
Gewere (Investitura; französisch: sai-
sine, von saisir; italienisch: tenuta). Das
Wort ist von dem gotischen vasjan, alt-
hochdeutsch verjan, investire = einklei-
den abzuleiten; es stammt nicht von vai-
ran — praestare, gewähren; nicht von var-
jan —= defendere, wehren; allen gemein-
sam ist aber der Stamm wern.
Ursprünglich bedeutet ‚„Ge(were)‘ den
rechtsförmlichen Akt der Besitzeinwei-
sung, dann auch deren Ergebnis, nämlich
den Besitz selbst, schließlich das Objekt
des Besitzes, Haus und Hof usw.
Ein alter Streit besteht darüber, ob in
den Quellen darunter nur die Tatsache
der Innehabung und Nutznießung eines
Grundstückes oder auch das Recht zum
Besitze und zur Nutzung desselben zu
verstehen ist. Nach Albrecht ist Ge
das durch eine selbständige dingliche
Klage geschützte Besitzrecht (die Grund-
lage des gesamten deutschen Sachen-
rechtes). Laband und Heusler wol-
len unter „Ge‘ die Tatsache des Nut-
zungsbesitzes, nicht das Recht zum Be-
sitz und Nutzen, verstanden wissen.
Mit dieser Auffassung stehen die Fälle