Kant.
bruar 1804 innehatte. Er blieb unverhei-
ratet und entfaltete als Schriftsteller wie
als akademischer Lehrer eine überaus rüh-
rige Tätigkeit, bis er, wegen seiner reli-
giösen Anschauungen 1794 durch eine
Maßregelung von seiten des reaktionären
Ministeriums Wöllner unter Friedrich Wil-
helm II. gehemmt und entmutigt, in den
nächsten Jahren seine akademische Tätig-
keit einstellte und infolge der geistigen
Überanstrengungen bei allzu strenger Re-
gelung seines äußern Lebens in seinen
letzten Jahren einem körperlichen wie gei-
stigen Marasmus verfiel. Über sein Leben
berichten uns die drei 1804 erschienenen
und sich gegenseitig ergänzenden Schrif-
ten von Borowski, Jachmann und Wa-
sianski.
Ehe Kant zu seinem eigenen kritischen
Standpunkte in der Philosophie gelangte,
hat er alle Hauptphasen der vorhergehen-
den philosophischen Entwicklungen an
sich selbst durchlebt. Großgezogen im
Leibniz-Wolffischen Dogmatismus, blieb
er diesem bis 1762 treu, verfaßte jedoch
neben metaphysischen Abhandlungen,
unter welchen die 1755 erschienene Nova
dilucidatio den Leibnizischen Apriorismus
noch überbot, mit Vorliebe naturwissen-
schaftliche Schriften; die bedeutendste
derselben ist die gleichfalls 1755 vollen-
dete, wenn auch erst später veröffent-
lichte „Allgemeine Naturgeschichte und
Theorie des Himmels“, in welcher Kant
zuerst die später von Laplace mathema-
tisch durchgebildete mechanische Ent-
stehung unseres Planetensystems vortrug,
welche noch heute unter dem Namen der
Kant-Laplaceschen Hypothese in verdien-
tern Ansehen steht. Seit 1762 wandte sich
Kant vom „alten, wurmstichigen Dogma-
tismus‘‘ ab und huldigte zunächst einem
Empirismus im Sinne der Lockeschen
Philosophie, welcher wie bei dieser selbst
so auch bei Kant in eine Art Skeptizismus
umschlug, wie er sich namentlich in den
1766 erschienenen „Träumen eines Gei-
stersehers‘‘ bekundet. Mit dem Jahre 1770
erreichte Kant in der Schrift De mundi
sensibilis atque intelligibilis forma et prin-
cipiis seinen eigenen Standpunkt des
Kritizismus, von welchem aus alle seine
folgenden Schriften, namentlich die drei
Kritiken verfaßt sind, 1781 die „Kritik der
reinen Vernunft“, 1788 die „Kritik der
praktischen Vernunft‘ und 1790 die „Kri-
tik der Urteilskraft‘“. Außer ihnen sind
887
noch besonders hervorzuheben 1794 „Die
Religion innerhalb der Grenzen der blo-
Ben Vernunft‘ und die 1797 erschienene,
Kants Rechtslehre und Tugendlehre be-
fassende „Metaphysik der Sitten‘.
Kant pflegt seinen kritischen Stand-
punkt auch als den transzendentalen zu
bezeichnen, weil er anknüpft an die seit
dem Mittelalter herrschende Neigung der
menschlichen Vernunft, transzendent zu
werden, d. h. die Grenzen der Erfahrung
zu überschreiten, um über die jenseits der-
selben liegenden „Ideen“, wie sie Kant
nennt, über die Seele, das Weltganze und
Gott eine wissenschaftliche Erkenntnis zu
gewinnen. Weil ein solches Überschreiten
der Erfahrung, wenn überhaupt, dann
nur mittels dessen, nach Kants Meinung,
möglich ist, was uns unabhängig von aller
Erfahrung, d. h. a priori zu eigen ist und
somit den angeborenen Besitzstand unse-
res Intellektes ausmacht, so unterwirft
Kant in der Kritik der reinen Vernunft den
ganzen apriorischen Bestand der reinen,
d. h. der von allem Empirischen gereinig-
ten Vernunft und in weiterem Sinne des
gesamten Erkenntnisvermögens über-
haupt einer genauen kritischen Analyse.
Die Elemente a priori unseres Anschau-
ungsvermögens sind, wie Kant in der
transzendentalen Ästhetik nachweist,
der Raum und die Zeit. Er schließt dar-
aus, daß die Dinge nur für uns als räum-
lich und zeitlich ausgebreitet erscheinen,
daß hingegen die Dinge an sich raumlos
und zeitlos, somit für uns völlig unerkenn-
bar sind und bleiben. In gleicher Weise
‚findet Kant in der transzendentalen Logik
als apriorischen Bestand unseres Denk-
vermögens die zwölf Kategorien (Allheit,
Vielheit, Einheit; Realität, Negation, Li-
mitation; Substanzialität, Kausalität,
Wechselwirkung; Möglichkeit, Wirklich-
keit, Notwendigkeit), welche er als
„Sstammbegriffe des reinen Verstandes‘“‘
bezeichnet, und aus denen er die „Grund-
sätze des reinen Verstandes‘‘ entwickelt,
welche aus der Organisation unseres In-
tellektes entspringen und ebendarum die
unverbrüchlichen Grundgesetze alles
Seins und Werdens in der Welt aus-
machen. Aus allen diesen tiefgehenden
Untersuchungen gewinnt Kant den
Schluß, daß die ganze Welt, wie wir sie
kennen, nur Erscheinung, nicht Ding an
sich ist, und daß das an sich seiende We-
sen der Dinge unserer Erkenntnis für im-