Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

90 Anrechnung der Untersuchungshaft. 
worfen wird, ist das angefochtene Urteil 
durch Ablauf der Rechtsmittelfrist rechts- 
kräftig geworden. Denn die nicht frist- 
und formgerechte Einlegung eines Rechts- 
mittels kann auf den Eintritt der Rechts- 
kraft keinerlei Einfluß ausüben. Ist für 
den Angeklagten das Urteil unanfechtbar 
geworden, so vermag das von der Staats- 
anwaltschaft zugunsten des Angeklagten 
eingelegte Rechtsmittel, C 338 Abs 2, so- 
wie das seines gesetzlichen Vertreters, 
C 340, oder das des Ehemannes einer be- 
schuldigten Frau, C 340, den Eintritt der 
Rechtskraft und damit die Vollstreckbar- 
keit des Urteils, C 481, zu verhindern. Die 
Anrechnung der Untersuchungshaft er- 
folgt aber auch in diesen Fällen nach 
C 482, da der Angeklagte nicht in der 
Lage ist, eine Anfechtung des Urteils 
durch diese Personen zu verhindern. Das- 
selbe gilt, wenn das von der Staatsanwalt- 
schaft oder dem Nebenkläger, C 437 
Abs 1, 430, oder dem Privatkläger, C 430, 
eingelegte Rechtsmittel als unbegründet 
verworfen wird. 
Die Anrechnung der Untersuchungshaft 
besteht darin, daß sie ohne Rücksicht auf 
die Bestimmung des S 21 (Verhältnis der 
verschiedenen Freiheitsstrafen zueinan- 
der) auf die erkannte Strafe (Zuchthaus-, 
Gefängnis-, Festungs- und Haftstrafe) 
zur Anrechnung gelangt. 
Ist der Angeklagte wegen mehrerer 
strafbarer Handlungen zu einer Gesamt- 
strafe, S 74, verurteilt und ficht er das 
Urteil nur bezüglich der Verurteilung 
wegen einer einzelnen strafbaren Hand- 
lung an, so wird man zugunsten des An- 
geklagten hinsichtlich der Anrechnung 
der Untersuchungshaft auf die von ihm 
nicht angefochtenen Einzelstrafen die Be- 
stimmung des C 482 anwenden müssen 
(bestritten, vgl Loewe-Hellweg Note 6c 
zu C 482). 
Befindet sich der Angeklagte in zwei 
verschiedenen, nicht verbundenen Straf- 
sachen in Untersuchungshaft, so ist, wenn 
er in einer Sache verurteilt wird, für die An- 
rechnung der Untersuchungshaft der Um- 
stand, daß er sich auch in einer anderen 
Sache in Untersuchungshaft befindet, un- 
erheblich. Die Anrechnung der Untersu- 
chungshaft gemäß C 482 erfolgt ohne wei- 
teres kraft Gesetzes. Ist der Angeklagte 
dagegen nur in der später zur Aburteilung 
gelangenden Sache in Untersuchungshaft, 
so kann die Anrechnung derselben auf die 
  
schon erkannte Strafe erst von dem Zeit- 
punkte erfolgen, in welchem die Geneh- 
migung bzw die Überführung zur Straf- 
vollstreckung erfolgt. 
Hat der Angeklagte ein Rechtsmittel 
eingelegt und eine Milderung der Strafe 
nach Art oder Höhe erzielt, so hat er trotz- 
dem keinen Anspruch auf Anrechnung der 
seit Erlaß des ersten Urteils erlittenen 
Untersuchungshaft nach C 482. Wohl 
aber hat das Gericht zu prüfen, ob nicht 
eine Anrechnung derselben gemäß S 60 
angebracht erscheint. 
Il. Eine erlittene Untersuchungshaft 
kann bei Fällung des Urteils auf die er- 
kannte Strafe ganz oder teilweise ange- 
rechnet werden, S 60. 
Im Gegensatze zu der auf Grund des 
C 482 erfolgenden obligatorischen An- 
rechnung der Untersuchungshaft steht 
ihre Anrechnung gemäß S 60 im Ermes- 
sen des Richters. Ihre: Nichtanwendung 
begründet selbst dann nicht die Revision, 
wenn sie trotz eines vom Angeklagten ge- 
stellten Antrages nicht begründet ist, RG 
35 234. Ergibt dagegen das Urteil, daß 
die Anrechnung infolge eines Rechtsirr- 
tums nicht erfolgt ist, so ist die Revision 
begründet, RGR 4 850. 
Während unter Untersuchungshaft im 
Sinne des C 482 nur die Untersuchungs- 
haft gemäß C 112—126 zu verstehen ist, 
fällt unter diesen Begriff des S 60 jede 
Freiheitsentziehung, die der Angeklagte 
von einer Behörde im Interesse der Unter- 
suchung erlitten hat. 
Da die Untersuchungshaft nur auf die 
erkannte „Strafe‘‘ zur Anrechnung ge- 
langen kann, ist ihre Anrechnung bei 
allen den Charakter einer Privatgenug- 
tuung an sich tragenden Maßregeln, wie 
z. B. Buße, ausgeschlossen. Auch kann 
ihre Anrechnung auf die Todesstrafe, 
lebenslängliche Freiheitsstrafe sowie auf 
Ehrenstrafen der Natur dieser Strafen 
nach nicht erfolgen. Sie ist vielmehr auf 
die zeitige Freiheitsstrafe beschränkt. 
Eine Anrechnung auf die nach S 28, 29 
einer an erster Stelle erkannten Geldstrafe 
substituierte Freiheitsstrafe ist nicht zu- 
lässig, da dann die Anrechnung der Un- 
tersuchungshaft von dem Ausfall der erst 
noch vorzunehmenden Zwangsvoll- 
streckung abhängig sein und die schon 
erlittene Untersuchungshaft je nach deren 
Ausfall angerechnet oder nicht berück- 
sichtigt werden würde.
	        
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