Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

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„Die Befreiung des besseren Bewußtseins 
von aller Subjektivität‘‘ postuliert für den 
absoluten künstlerischen Genuß Arthur 
Schopenhauer, der die ungetrübte 
ästhetische Welt reiner Vorstellung über 
die materielle Welt des zweckbewußten 
Willens stellt. 
Die positive Feststellung des Begriffs 
des Kunstschönen ergibt sich erst aus der 
Synthese dieser beiden Exklusionen. 
Kunst ist sowohl „anschauliche Mathe- 
matik‘‘, wie Pythagoras, Platon und Leib- 
niz, welche den Nachdruck mehr auf die 
rhythmischen als auf die harmonischen 
Elemente des Kunstwerks legen, wollen, 
als auch „abstrakte Sinnlichkeit‘. Letzte- 
ren antithetischen Ausdruck deutet Schel- 
ling aus als die Vernichtung des — sinn- 
lichen — Stoffes durch Vollendung der — 
idealen, logischen — Form. 
Genau so ist die Zweckmäßigkeit 
im Kunstschönen nicht realer, sondern 
nur idealer Natur: sie ist eine innere, 
rein künstlerisch Zweckmäßigkeit: 
„Schönheit ist Form der Zweckmä- 
Bigkeit eines Gegenstandes ohne Vor- 
stellung eines Zweckes.“ (Kant.) 
Einzig solche ästhetische Zweckmäßigkeit 
wird als autonome künstlerische ‚„Not- 
wendigkeit‘ den organischen Zusammen- 
hang des Kunstwerkes stets gewährleisten. 
Aus diesem Grunde der nur idealen 
weckmäßigkeit des Kunstwerkes ist auch 
denTieren jeder Kunstsinn produktiver wie 
apperzeptiver Art abzusprechen. Was etwa 
als ein solcher erscheinen könnte, jene 
regelmäßig geordnete Bauart der Bienen- 
zellen oder der Ameisenhaufen, der wohl- 
lautende Gesang der Singvögel, ist ein- 
fach als ausgebildeter, rein materieller 
Zweck nützlicher Anpassung zur Erhaltung 
der Art — Futtertrieb, Brunsttrieb — im 
Kampfe ums Dasein zu erklären. Aber 
eine Ablösung idealer Zwecke von diesen 
realen hat sich im tierischen Bewußtsein 
noch nicht vollzogen. Erst eine derartige 
Ablösung oder feinste Differenzierung 
kann das Entstehen des qualitiven Kunst- 
sinnes bewirken.) — 
Die Definition des Begriffes des 
Kunstschönen bedarf nun, um voll- 
ständig zu sein, außer der Beschrei- 
bung seines objektiven Inhaltes auch 
noch einer Darlegung seiner subjektiven 
Geltung: Ist die Empfindung des Kunst- 
schönen notwendig und für die ganze 
Menschheit allgemein verbindlich? Oder 
  
Kunst. 
ist sie rein individualistisch und nach 
Menschengruppen und -zeiten wandelbar, 
wie gewisse extreme Historiker, die nur 
die Oberfläche der Sache sehen, anneh- 
men zu müssen vermeinen ? 
Das reine Gefühl des Kunstschönen 
als solchen befindet sich in einem 
kontradiktorischen Gegensatze zum bloß 
Individuellen, wenn auch die materi- 
elle Manifestation: der jeweilige sti- 
listische Ausdruck, aller menschlichen 
Wandelbarkeit nach Ort und Zeit un- 
terworfen ist. „Das ästhetische Urteil 
ist insoweit a priori, als es subjektive All- 
gemeingültigkeit besitzt, vermöge deren 
es die Einstimmung jedermanns mit dem 
eigenen Geschmack erwartet, wenn auch 
nicht erfordert.“ (Kant.) Daß das Ge- 
fühl für das Kunstschöne überindividuell 
ist, geht schon aus der Tatsache hervor, 
daß es in dem in die Wirklichkeit getrete- 
nen Kunstwerk als allgemein verständ- 
liche Sprache zu funktionieren hat, durch 
die der Künstler, der eine Schöpfer seine 
Idee der gesamten übrigen Menschheit 
vermitteln will und deutlich machen 
muß. 
Andererseits liegt gerade in dieser ab- 
soluten Notwendigkeit des Vorhanden- 
seins eines persönlichen schöpferischen 
Genius und in der hieraus folgenden 
höchst persönlichen Qualität des Kunst- 
werkes ein deutliches nichtsoziales Mo- 
ment, so daß man als definitio in contra- 
dictionibus das künstlerische Schöne als 
das in der Produktion der Menschheit ein- 
zig dastehende psychische Erzeugnis einer 
„subjektiven Objektivität‘ oder einer „ob- 
jektiven Subjektivität‘“ anzusprechen hat 
(vgl auch den Schluß des Art „Kunst- 
werk‘“‘.) 
Auf diese Weise stellt sich das für die 
Allgemeinheit gültige Kunstschöne in dem 
Werk der bewußten schöpferischen Per- 
sönlichkeit als Zusammenfassung des 
Universum in einem persönlichen Aus- 
druck, als personifizierte „Weltschöpfungs- 
idee“ in nuce dar — die Gottheit ist dem 
Künstler, die Schöpfung dem Kunstwerke 
analog —, während das Naturschöne man- 
gels dieser bedeutungsvollen Relation so- 
wohl zur Allgemeinheit wie zur Persön- 
lichkeit nur eine unendlich kleine, winzige 
Partikel der unendlich großen Schöpfung 
repräsentiert: F. W. J. v. Schelling 
definiert die künstlerische Schönheit als 
„das Unendliche endlich dargestellt‘. Vgl
	        
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