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und dem negativ regulierenden der Not-
wendigkeit, anordnen, zerfallen wiederum
in zwei Gruppen, gemäß dem natürlichen
sinnlich-abstrakten Doppelcharakter der
Kunst, in die wesentlich quantitativen
Elemente des Metrum oder höher organi-
siert: des Rhythmus und in die wesent-
lich qualitativen Elemente der Harmonie.
Zu den quantitativen künstlerischen Ele-
menten gehören in den akustischen Kün-
sten — um nur die Hauptkünste ohne
alle weiteren Zwischenstufen zu nen-
nen — der Rhythmus im engeren Sinne
und das Tempo; in den optischen Kün-
sten Symmetrie und Proportion und die
— hauptsächlich lineare — Komposition.
Die eigentlich dynamischen Elemente der
Tonstärke in Musik und Vortragskunst,
der Massigkeit in den malerischen, plasti-
schen und tektonischen Künsten, im all-
gemeinen der stofflichen Ausdehnung
sind an sich natürlich quantitativer Natur,
in ihrer Tendenz gehen aber gerade sie
auf qualitative Wirkungen aus, wie es
überhaupt die Aufgabe des Künstlers und
der Kunst ist, die quantitativen Elemente
ins höchst Qualitative zu steigern und um-
gekehrt der rein qualitativen Gefühls-
mäßigkeit die Logik der quantitativen
Zahl zu verleihen, ihr Rhythmus und Pro-
portion zu geben. — Die Elemente der
Qualität an sich sind in Tonkunst und
Poesie Harmonie und Gleichklang (Reim)
und die eigentliche Tonmalerei, in der
Malerei Farben- und Schattengebung, in
Plastik und tektonischen Künsten Model-
lierung, Reliefgrad und ähnliche Raum-
werte. Als völlig qualitativ muß natür-
lich auch die individuelle Formensprache,
der persönliche Ausdruck, das eigent-
lichst phantasiemäßig Gefühlvolle in der
Kunst, bezeichnet werden, die sich, formal
genommen, aus rhythmischen wie harmo-
nischen Elementen zusammensetzt.
Die Begriffe Rhythmus und Harmonie
im weitesten Sinne sind die beiden ästhe-
tischen Kategorien, in welche die künst-
lerischen Formprinzipien auseinandertre-
ten. Es ist zur Entstehung eines Kunst-
werkes nicht wesentlich nötig, daß zu
ihnen noch ein besonderer, von ihnen un-
abhängiger Inhalt hinzukommt, der etwa
direkt dem praktischen Leben oder jener
konkreten Mannigfaltigkeit der Natur mit
ihrer fremden, außerkünstlerischen Gesetz-
mäßigkeit entnommen ist: Es gibt Künste
wie die Musik und die rein dekorativen
Kunst.
Künste, welche außer Harmonie und
Rhythmus nicht noch eines fremden In-
halts bedürfen, welche sich völlig auto-
nom gestalten und deshalb als „frei
schaffende Künste bezeichnet werden im
Gegensatze zu den „gebundenen Kün-
sten“, die zum Inhalte sich das Leben
oder die Natur entleihen, Dichtkunst, Ma-
lerei und Plastik.
Welches ist nun das Verhältnis dieser
„natürlichen Inhalte“ zu den sie formal
verwertenden Künsten ? Es ist — dies sei
prinzipiell betont — niemals eine mate-
rielle Nachahmung , sondern stets eine
völlig freie formale Gestaltung: Der „na-
türliche‘‘ künstlerische Inhalt kann, wie
dies schon aus unserer Definition des
Kunstschönen hervorging, nur in idealem
Sinne die materielle zweckmäßige Schön-
heit und die physische Kausalität der ech-
ten Natürlichkeit besitzen. Die künstle-
rische Phantasie hat in der Verwendung
der Natur ihre ganz eigene „ideale“, ihre
metaphysische Logik. Die Illusion aber
als künstlerisch annehmen zu wollen oder
sie gar zum Wertmaßstabe von Kunst-
werken zu machen, wie dies der histo-
rische Naturalismus und die deshalb ganz
verfehlte Kunstlehre Konrad Langes
getan, muß sich daher denkbar weit von
dem tatsächlichen Wesen der Kunst ent-
fernen. Die Verbindung von Kunst und
Natur besteht lediglich in der parallelen
oder gleichgerichteten Organisation (vgl
Wilhelm Waetzoldt Das Kunst-
werk als Organismus. Ein ästhetisch-bio-
logischer Versuch). Ein Abhängigkeits-
verhältnis der Kunst von der Natur wird
sich also nur auf das Zusammenstimmen
in diesen organischen Gesetzmäßigkeiten
beziehen; andernteils wird sie abstrahie-
ren von den künstlerisch „nicht: sinn-
vollen‘, für die ästhetisch beabsichtigte
Wirkung unwesentlichen Zufälligkeiten,
also sehr im Gegensatze zu einer ma-
terialistischen Nachahmung. Außerdem
wird jede äußerliche mechanische Illusion
ihren Widerpart nicht nur in diesen objek-
tiven Momenten, sondern auch in dem
subjektiven der künstlerisch souveränen,
frei und autonom gestaltenden Schöpfer-
persönlichkeit finden.
Noch ist ein weiterer innerer Grund an-
zuführen gegen die Annahme einer Kopie
von Natur oder Leben durch die Kunst:
Das Kunstwerk weist im Gegensatze zum
Naturwerk über seine Sonderexistenz in