Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

Kunst — Kunstgewerbe. 
die allgemeine Welt des Schönen hinaus, 
wie wir in unserer Erklärung des Kunst- 
schönen als eines überindividuellen fest- 
stellten. Gerade seine vom Zufälligen ab- 
strahierende ästhetische Gesetzmäßigkeit 
verleiht der Einzelheit nur insofern Be- 
deutung, als sie prinzipiellen Wert für die 
Formanschauung, allgemeine Idealität 
oder „Stil“ hat. Durch diese überindivi- 
duelle Umwertung des materiellen In- 
halts, welche die Kunst so frei und so 
souverän, wie sie will, nach ihren eigenen 
Lebensgesetzen, die ja als ideale im 
schärfsten Gegensatze zu den materiell 
mechanistischen der physischen Natur 
stehen, vornehmen kann und darf, wird 
die der Natur oder dem Leben entnom- 
mene Wirklichkeit in dem Kunstwerke 
„symbolisch‘“. 
Was nun den Stoff in seiner spezifi- 
schen Qualität betrifft, das konkrete Ver- 
hältnis von Material und Form, Inhalt 
und Form, so ist aus all unseren vorher- 
gehenden Erörterungen wohl ersichtlich, 
daß er weder den Wert eines Kunstwerks 
ausmachen oder auch nur erhöhen kann, 
noch daß prinzipiell ein bestimmter Stoff 
eine Anweisung auf eine bestimmte spe- 
zielle Art von Formung enthielte, oder 
daß umgekehrt prinzipiell eine bestimmte 
Form gerade einen bestimmten Stoff als 
für sich subjektiv und objektiv exklusiv 
geeignet verlangte. Jedoch bemerkt hier- 
zu Georg Simmel sehr richtig: „Die 
Souveränität der Kunst über die Wirk- 
lichkeit bedeutet keineswegs, wie der Na- 
turalismus und viele Theorien des Idea- 
lismus meinen, die Fähigkeit, alle Inhalte 
des Daseins gleichmäßig in ihren Bereich 
zu ziehen, keine der Formungen, mit 
denen der menschliche Geist den Stoff 
des Daseins bemeistert und zu seinen 
Zwecken bildet, ist so allgemein und neu- 
tral, daß alle jene Inhalte, gleichgültig 
egen ihre eigene Struktur, sich ihr 
gleichmäßig fügten.‘“ Hoeber. 
Kunstgewerbe (Begriff). Der Gegen- 
stand des K(unst)g(ewerbes) ist das tech- 
nische Kunstwerk. Unter technischen 
Kunstwerken versteht man die Werke 
der Architektur (Wohngebäude, öffent- 
liche Gebäude, Repräsentationsgebäude 
aller Art; architektonische Monu- 
mente; Garten- und Landschaftsarchi- 
tektur), des Kunsthandwerks (Wohnungs- 
einrichtungen, Gebrauchs- und Luxus- 
gegenstände aller Art und aller Hand- 
  
981 
werkszweige: z. B. Keramik, Gläser, 
Tafelsilber, ornamentierte Textilien, Pa- 
piere usw, die Werke der Buchkunst, so- 
weit sie mehr allgemein typographisch 
als reine Zeichnung sind usw) und in ge- 
wissem Sinne auch die Werke der Orna- 
mentik. 
1. Der ästhetische Charakter 
des technischen Kunstwerkes. 
Das technische Kunstwerk kann einem 
praktischen Gebrauche dienen (z. B. 
Wohnhäuser, Zimmereinrichtungen usw), 
muß es aber aus irgendwelchen inneren 
Gründen durchaus nicht: wie etwa das 
architektonische Monument oder das Or- 
nament rein als dekorative Zierform, 
welche keinerlei praktischen Zweckmäßig- 
keit dienen wollen. 
Der Unterschied des technischen Kunst- 
werkes vom reinen Kunstwerk, d. h. vom 
Bildkunstwerk, beruht in dem anders- 
artigen Sichverhalten zur materiellen 
Masse: „Die materielle Masse des tech- 
nischen Kunstwerkes ist für ein ma- 
terielles Funktionieren bestimmt. Das 
‚Dienenkönnen‘ ist eine materielle Funk- 
tion der materiellen Masse. Im Bild- 
kunstwerke hat die materielle Masse nur 
die ideelle Funktion, sinnlicher Träger der 
in die sinnliche Erscheinung des Kunst- 
werkes gebannten ideellen Welt zu sein. 
Für die ästhetische Betrachtung bildet den 
Inhalt eines Kunstwerkes stets der Zu- 
sammenhang von lebensvollen Funktio- 
nen oder Leistungen: Im technischen 
Kunstwerk sind dies von der materiellen 
Masse vollbrachte, im Bildkunstwerk 
durch Wiedergabe dargestellte Funktio- 
nen. Also gehört die materielle Funktion 
zum Sinne des technischen Kunstwerkes: 
es erscheint für dieses charakteristisch, 
daß in ihm das Leben des Materials 
hierzu einen Beitrag liefert.“ (Theodor 
Lipps.) Das ästhetische Leben des 
technischen Kunstwerkes spielt sich somit 
vor allem in der Sphäre der idealen Sinn- 
lichkeit der statischen und räumlichen 
Gefühle ab, im Gegensatze zum Bild- 
kunstwerke, welches mehr die rein op- 
tischen Gefühle vorzieht. 
Der Unterschied des technischen Kunst- 
werkes vom bloßen technischen Erzeug- 
nis gipfelt in den beiden Begriffen der 
(technischen) ,„Werkform‘“‘ hier, der 
(schönen) „Werkform“ dort. Lipps, 
der feinsinnige Einfühlungsästhetiker, 
dessen Urteil wir uns am besten auch
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.