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hier wieder anschließen, definiert diesen
Gegensatz folgendermaßen: „Die Form
eines technischen Kunstwerkes ist ‚Werk-
form‘, sofern sie zur physischen Existenz-
fähigkeit des technischen Kunstwerkes
dient. Dagegen ist sie reine ‚Kunstform‘,
sofern sie über die physische Existenz
oder neben ihr zur gesamten eigenartigen
Lebendigkeit des Kunstwerkes einen Bei-
trag liefert. — Jedoch bedeutet die ma-
terielle Tauglichkeit des technischen
Kunstwerkes niemals einen Grund für
den ästhetischen Eindruck — wie eine
weitverbreitete heutige Meinung fälsch-
lich annimmt —, sondern sie ist nur die
Bedingung, die fraglose Voraussetzung
für die ästhetische Betrachtung. Die
sichere Beantwortung der Frage nach der
physischen Existenzfähigkeit des techni-
schen Kunstwerkes für den unmittelbaren
— also nicht auf dem Wege wissenschaft-
licher Ration gewonnenen — Eindruck ist
in der ästhetischen Betrachtung voraus-
gesetzt.‘
Der Unterschied des technischen Kunst-
werkes vom bloßen technischen Erzeug-
nis, der zugleich seinen höheren Wert,
seine künstlerische Qualität ausmacht, be-
steht somit im wesentlichen in einem
reicheren „Geschmücktsein‘‘ über die pri-
mitiven, bloß physikalischen Bedürfnisse
hinaus, in einem partiell vorhandenen
ästhetischen Selbstzweck neben und über
aller materieller Zweckmäßigkeit und Not-
durft. Doch braucht dies Geschmücktsein
keineswegs in veritablen Ornamenten zu
bestehen: Es kann auch lediglich eine
ästhetische Ordnung, eine schöne be-
stimmte Linienführung, eine künstlerisch
wertvolle Silhouette usf das technische Er-
zeugnis zu einem technischen Kunstwerke
machen; vgl Theodor Lipps Ästhetik
II. Teil, 5. Abschn.
2. Der soziologische Charak-
ter des Kunstgewerbes. Der
soziologische Charakter der Werke
der sog angewandten Kunst ist ein
ganz anderer als der der freien Kunst.
Bei der freien Kunst ist die ideale
schöpferische Tat und der materielle
Träger dieser schöpferischen Idee in
der Regel dasselbe. In der ange-
wandten Kunst ist künstlerische Idee und
materielles künstlerisches Objekt tatsäch-
lich getrennt. Die künstlerische Idee,
welche in einem Modell, einer Entwurfs-
zeichnung usw fixiert ist, ist für eine Re-
Kunstgewerbe.
produktion in den kunstgewerblichen Ob-
jekten bestimmt und zwar in der Regel
für eine mehrmalige. (Dies kann auch bei
manchen freien Künsten, wie von uns
an Ort und Stelle des Artikels „Kunst-
werk‘ angedeutet, der Fall sein: z.B. den
graphischen, wo Träger der künstleri-
schen Idee die Kupferplatte, der Litho-
graphenstein, der Holzstock usw ist, von
denen eine beliebige Anzahl von Abzügen,
von „künstlerischen Objekten‘, genom-
men werdenkann.) Damitistein Anspruch
auf „Einzigkeitswert‘‘, die Unersetzbar-
keit und Unnachahmlichkeit des künstle-
rischen Objekts, für die Werke der ange-
wandten Kunst hinfällig. Juristisch findet
dieser prinzipielle soziologische Gegen-
satz seinen Ausdruck, indem das geistige
Eigentum an Werken des Kunstgewerbes
durch das gewerbliche Urheberrecht,
Recht an Geschmacksmustern und Mo-
dellen, geschützt ist, hingegen das geistige
Eigentum an den Werken der reinen
Kunst, den Werken der Literatur und Ton-
kunst, den Werken der bildenden Kunst,
durch das künstlerische und literarische
Urheberrecht.
Georg Simmel ist von der wesent-
lichen Eigenschaft allen Kg, der Stili-
sierung ausgegangen, um den nicht-in-
dividuellen ästhetischen Charakter des
technischen Kunstwerks darzutun: „Stil
ist immer diejenige Formengebung, die,
soweit sie den Eindruck des Kunstwerks
trägt oder tragen hilft, dessen ganz indi-
viduelles Wesen und Wert, seine Einzig-
keitsbedeutung verneint. Vermöge des
Stils wird die Besonderheit des Einzelnen
einem allgemeinen Formgesetz untertan,
das auch für andere gilt. Es wird sozu-
sagen seiner absoluten Selbstverantwort-
lichkeit enthoben.“ Der allem Kg anhaf-
tende Stil ist also ein Allgemeinheits-
prinzip.
Das reine Kunstwerk ist ein einziges,
das technische reproduzierte Kunstwerk
ist ein einzelnes von vielen. „Das Wesen
des kunstgewerblichen Gegenstandes ist,
daß er viele Male existiert, seine Verbrei-
tung ist der quantitative Ausdruck seiner
Zweckmäßigkeit ; denn er dient immer
einem Zwecke, den viele Menschen ha-
ben. Das Wesen des Kunstwerkes da-
gegen ist Einzigkeit: ein Kunstwerk und
seine Kopie sind etwas völlig anderes als
ein Modell und seine Ausführung, als die
nach einem Muster hergestellten Exem-