Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

100 Wilhelm der Siegreiche. 
1862 aus dem Streite zwischen Regierung und Volksvertretung ein offener 
Verfassungskonflikt hervorgegangen war. Wie sehr darunter des Königs Be- 
liebtheit litt, zeigte sich bei den fünfzigjährigen Festen zur Erinnerung an die 
Befreiungskriege und an die Vereinigung verschiedener Provinzen (1863 bis 
1865)0. Auch die entschiedene Politik, welche König Wilhelm unter Bismarcks 
kühnem und staatsklugem Beirat in der deutschen Frage verfolgte, und der 
siegreiche Krieg gegen Dänemark im Jahre 1864 vermochten den Zwist nicht 
zu beschwören. 
Erst der unerwartet glänzende Ausgang des Feldzugs im Jahre 1866, 
mit dem sich die längst zur geschichtlichen Notwendigkeit herangereifte Trennung 
Deutschlands und Osterreichs und damit eine entschiedene Wandlung zum Besseren 
vollzog, wie wir das in den folgenden Abschnitten unsern Lesern vorführen 
werden, löste endlich die unheilvolle Spannung zwischen Krone und Volk in 
Preußen. 
Schon beim Ausbruche des Krieges hatte sich in Preußen ein Umschwung 
in der Volksstimmung vollzogen, und der Sonnenschein des Kriegsruhms ver- 
wandelte sie dann in Begeisterung für den königlichen Oberfeldherrn, dessen 
militärische Fürsorge sich so glänzend bewährt hatte. Dazu kam, daß König 
Wilhelm nach seiner Rückkehr aus dem Felde durch Vorlegung eines Indemnitäts- 
gesetzes für die während der Konfliktszeit ohne die verfassungsmäßig erforderliche 
Zustimmung der Volksvertretung geschehenen Regierungshandlungen dem Land- 
tage die Hand zum Frieden bot. Dieselbe ward freudig ergriffen, und damit 
begann die schönste Zeit in Kaiser Wilhelms Leben — die Zeit der Erfüllung. 
Die Gründung des Norddeutschen Bundes, durch dessen Verfassung vom 
1. Juli 1867 das Präsidium dem Könige von Preußen und seinen Nachkommen 
übertragen wurde, gab Deutschland die Weltstellung, deren es nur zu lange 
entbehrt hatte. Noch blieb freilich das Einigungswerk zu vollenden; daß dies, 
ungehindert von außen, in friedlicher Entwickelung geschehe, war des Königs 
lebhaftester Wunsch. Vier Jahre hindurch gelang seiner Friedensliebe die 
Hinausschiebung des drohenden Krieges mit Frankreich, dessen Eifersucht durch 
die beispiellosen Erfolge Preußens im Kriege von 1866 gereizt worden war 
und das sich in seinen Vergrößerungsgelüsten durch die vermehrte Macht des 
früher gering geschätzten Nachbarn gehemmt fühlte. Im Juni 1867 besuchte 
König Wilhelm gemeinschaftlich mit dem Kaiser Alexander von Rußland die 
Weltausstellung zu Paris; Kaiser Napoleon III. aber suchte doch mit Ungeduld 
nach einem Vorwande zu einem Bruche, und endlich fand sich ein solcher in der 
Thronkandidatur des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern gelegentlich der 
Wiederbesetzung des verwaisten spanischen Thrones. In der Hoffnung, nicht 
nur Preußen zu vereinsamen, sondern auch dessen König persönlich vor der 
ganzen Welt herabzusetzen, ließ der Emporkömmling durch seinen Botschafter 
Benedetti im Bade Ems verletzende Forderungen an König Wilhelm stellen. 
Aber Napoleons Absichten wurden durch die würdevolle Haltung König Wilhelms 
zu schanden gemacht. Nun mußten die Waffen entscheiden. Ganz Deutschland 
scharte sich in voller Begeisterung um den greisen Heerführer, der, ein Siebziger, 
die Mühsal eines neuen Feldzugs nicht scheute.
	        
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