Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

106 Die Zeit der Militärreorganisation. 
Bevölkerung aber in der langen Friedenszeit von 12 Millionen auf über 20 Mil- 
lionen angewachsen. So wurde denn nach und nach das Grundgesetz selbst und 
damit die Grundlage der Macht Preußens zur Unwahrheit. 
Denn ein Drittel von denen, welche dem Gesetz nach dienen mußten, diente 
nicht, und diese blieben dann noch obendrein ihr Leben hindurch von der Waffen- 
pflicht befreit. Das war eine Ungerechtigkeit, und eine solche verträgt man am 
wenigsten in Preußen. Der Prinz-Regent und spätere König Wilhelm war es 
nun, der gerade jenes Grundgesetz wieder zu einer Wahrheit machen wollte; zu 
diesem Zwecke wurden Besprechungen abgehalten, Gutachten eingeholt, ein Aus- 
schuß zur Vorberatung der Angelegenheit niedergesetzt; aber es ward doch nichts 
andres zu Tage gefördert als das, was der Prinz von Preußen längst heraus- 
gefunden und woran er in Gedanken unveränderlich festgehalten hatte. Von 
der nachträglichen Heranziehung der in den letzten Jahren zurückgestellten Dienst- 
pflichtigen an bis zur Fahnenweihe folgten sich die Maßregeln so zweckentsprechend, 
daß es schwer hält, zu sagen, was am meisten anzuerkennen ist, die Gediegen- 
heit des ersten vom Regenten selbst ausgegangenen Planes oder die zweck- 
dienliche Ausführung desselben. 
Nach dem oben erwähnten Gesetz vom 3. September 1814 trat der Militär- 
pflichtige im zwanzigsten Lebensjahre in das stehende Heer ein, blieb drei Jahre 
unter der Fahne, war zwei weitere Jahre Reservist und trat schon vom 25. Jahre 
bis zum 39. in die Landwehr ein, und zwar vom 25. bis zum 32. in das erste, 
vom 32. bis zum 39. in das zweite Ausgebot. Die Folge dieser Einrichtung 
war, daß, wenn die auf 141.000 Mann festgesetzte Friedensstärke bei einer 
Mobilisierung auf eine höhere Kriegsstärke gebracht werden sollte, immer auch 
eine bedeutende Zahl von Landwehrmännern einberufen werden mußte, und daß 
dadurch viele verheiratete Männer und Ernährer ihrer Familien diesen und 
ihrem bürgerlichen Berufe entzogen wurden. Längst hatten Sachverständige auf 
die Übelstände dieser Einrichtung hingewiesen. Ihnen konnte nur begegnet und 
der Notwendigkeit einer höheren Kriegsstärke nur dadurch entsprochen werden, 
wenn auch die Friedensstärke erhöht, also mehr Mannschaft einberufen, der Dienst 
in der Reserve verlängert, der in der Landwehr aber verkürzt wurde. 
Der neue Reformplan beruhte auf diesen Anschauungen. Auf Grund des- 
selben sollte die Friedensstärke von 141 000 Mann auf etwa 200 000 erhöht 
werden, jährlich statt 40 000 Rekruten 63.000 ausgehoben, an der dreijährigen 
Dienstpflicht festgehalten, die Zahl der Infanteriebataillone zur Gewinnung 
weiterer Kadres von 135 auf 253 erhöht, 18 neue Kavallerieregimenter er- 
richtet, der Dienst in der Reserve von zwei auf vier Jahre verlängert, der 
Dienst in der Landwehr ersten Aufgebots dagegen von sieben auf vier, in der 
Landwehr zweiten Aufgebots von sieben auf fünf Jahre vermindert werden. 
Neben den Landwehr-Stammbataillonen sollten die Ersatz-Eskadrons der 
Kavallerieregimenter auch nach der Abrüstung zusammenbleiben, und aus den 
ersteren die neuen (kombinierten) Infanterieregimenter, aus einem Teile der 
Ersatz-Eskadrons die neuen Reiterregimenter zusammengesetzt werden. Auch die 
Artillerie wollte man zweckmäßiger organisieren, der Train sollte zu einem
	        
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