Kriegsbereitschaft und Kriegführung. 119
friegsbereitschaft und Ariegführung. Ist der Krieg unabänderlich be-
schlossen, so ist die erste Bedingung zu einer erfolgreichen Durchführung die
schnellste Kriegsbereitschaft. Denken wir uns, eine Großmacht im Besitz einer
Feldarmee, wie alle großen Staaten sie aufzubringen vermögen, hat zwischen
600000 bis 800000 Mann kriegsgerüstet dastehen, während der Gegner bis
zur vollen Entfaltung seiner Streitkräfte noch ein oder zwei Wochen braucht,
so hat jene, die kriegsbereit ist, durch diesen Umstand allein das Spiel für die
erste Kriegszeit wenigstens schon gewonnen. Die Schwierigkeit, solche ungeheure
Menschenmassen zu ernähren, wenn unvermutet ein Stillstand eintritt, die Kost-
spieligkeit des Verharrens im Kriegszustande, währenddessen jeder Tag Millionen
verschlingt, drängen in demselben Maße dazu, den Vormarsch in Feindesland
ohne Säumen anzutreten und den Kampf ohne Zögern aufzunehmen, wie die
natürlichen Vorteile es erheischen, welche mit der Uberraschung eines noch un-
fertigen Gegners in Verbindung stehen. Es fällt dem Unkundigen schwer, sich
eine rechte Vorstellung vom Vormarsch einer großen Armee zu verschaffen. Will
man sich ein zutreffendes Bild von der Räumlichkeit entwerfen, welche die Vor-
wärtsbewegung der Masse des deutschen Heeres voraussetzt, so werden manche
unfrer Leser überrascht sein, wenn sie erfahren, daß diese Heersäule in ihrer
gesamten Kriegsausrüstung mit allen Fahrzeugen, im Reisemarsche auf einer
Straße gedacht, den ganzen Raum von der West-bis zur Ostgrenze einnehmen
würde. Mithin würde die Hauptlinie der Straße von Düsseldorf nach Mag-
deburg und weiter bis nach Berlin, Königsberg i. Pr. und Eydtkuhnen mit
Truppen, Geschützen, Fahrzeugen bedeckt sein, der Marsch aber dabei vor sich
gehen, wie gewöhnlich bei Reisemärschen, die Infanterie in Sektionen mar-
schieren, die Reiterei zu je drei Reitern, die Geschütze und Fahrzeuge einzeln
hintereinander.
Auf diese Weise würden die 18 Armeekorps des deutschen Heeres schon
126 deutsche Meilen Chaussee einnehmen; dazu kämen Kavalleriedivisionen, die
Landwehr, die Kolonnen der Oberkommandos, die Etappeninspektionen 2c., dann
das Fuhrwesen, welches nicht in die Armeekorps eingeteilt ist u. s. w., so daß
der Kolonnenzug im ganzen auf 250 deutsche Meilen sich ausdehnen würde.
Garnisons= und Ersatztruppen bleiben dabei noch daheim. Man kann die
Lücken ausgefüllt sich denken, die zur Bequemlichkeit der Truppen zwischen den
einzelnen Teilen, z. B. von Avantgarde und Hauptarmee, gelassen werden;
dann verringerte sich die Linie um 50 Meilen. Es bleiben aber noch immer
gegen 200 Meilen übrig, also reichlich so viel wie vom Rhein bis zur fernen
Ostgrenze.
Welche „Völkerwanderung“ daher eintritt, wenn bei einem Aufmarsch
gegen den Landesfeind diese Massen die Einwohnerzahl einer Grenzprovinz
plötzlich anschwellen machen, leuchtet ein. Ohne die sorgsamste Vorberechnung
und Bereithaltung der erforderlichen Ernährung würden Unzuträglichkeiten aller
Art und schwere Verlegenheiten unausbleiblich sein. Es ist deshalb nötig, im
Frieden bereits die nötigen Maßregeln für die Kriegsvorbereitung ins Auge
zu fassen und eingehend zu entwerfen, ebenso wie für die Mobilmachung —