Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

124 Die Zeit der Militärreorganisation. 
die raschen Reiterdivisionen — jemalig einige tausend Reiter mit zwei oder 
drei Batterien — ist der Hauptmasse des Heeres vorangeeilt, um den Feind 
aufzusuchen, dessen Bewegungen zu verfolgen und seine Absichten auszukund- 
schaften, zugleich aber das eigne Heer gegen ähnliche Unternehmungen von 
feindlicher Seite zu schützen. Eifrige und verschlagene Reiterscharen, welche recht- 
zeitig von allem Nachricht geben, was der Gegner im Schilde führt, ermög- 
lichen die so notwendige Schonung des Fußvolkes, dem bald Aufgaben gestellt 
werden, die nicht selten übermenschliche Anstrengungen erheischen. Unsern treff- 
lichen und zahlreichen Schwadronen, welche 1870 bis zur Mosel vorausgeeilt 
waren, hatte man es zu verdanken, daß die nachfolgende Heeresmasse zum 
größten Teile nächtliche Ruhe unter Dach und Fach finden konnte, bis die 
schwere Blutarbeit der Metzer Schlachttage für sie begann. 
Der Kavallerie folgen die langen Kolonnen des Armeekorps; darauf ziehen 
heran unübersehbare Wagenreihen, denen die Fortschaffung der Lebensmittel, 
der Munition, des Brückentrains, der Bekleidungsvorräte obliegt, ferner die 
Lazarettkolonnen und die Bäckereifuhrwerke und noch vieles andre. Daher 
kommt es, daß bei Beginn des Kampfes die letzten Marschierenden des zweiten 
Korps von der vordersten Kolonne in der Regel noch über drei Meilen, mithin 
einen Tagemarsch, und von den vordersten des ersten Armeekorps sogar zwei 
Tagemärsche entfernt sind. Das zweite auf derselben Straße vorrückende Korps 
würde daher erst am folgenden Abend, und dann nur mit seiner Spitze auf 
dem Schlachtfelde eintreffen. 
Das rechtzeitige Trennen und Vereinigen der Heeresmassen bildet 
einen der Kernpunkte strategischer Berechnungen; diese zureicheud und treffend 
zu bewirken, darin beruht ein wesentlicher Teil der Kriegskunst. Feld- 
marschall Graf Moltke hat diesen Gegenstand in die Worte zusammengefaßt: 
„Jede enge Anhäufung großer Massen ist an sich eine Kalamität. Sie ist 
gerechtfertigt und geboten, wenn sie unmittelbar zur Schlacht führt. Es ist 
gefährlich, in Gegenwart des Feindes sich wieder zu trennen, und unmöglich, 
auf die Dauer in derselben zu verharren.“ Bei weitem leichter bringt man 
zwei Korps zusammen, die auf parallelen Wegen getrennt marschieren, lägen 
diese auch drei Meilen auseinander; denn die einfache Berechnung ergibt, daß 
der am weitesten entfernte Soldat zu dem Gefecht eines der beiden Korps 
dann nur 4½ Meilen zurückzulegen hätte, also am nämlichen Tage noch ein- 
treffen könnte. « 
„Die schwere Aufgabe einer guten Heeresleitung ist, den getrennten Zu- 
stand der Massen, mit diesem aber die Möglichkeit der zeitgerechten Versammlung 
zu wahren. Dafür lassen sich keine allgemeinen Regeln geben; die Aufgabe wird 
jedesmal eine andre sein.“ 
Das rechtzeitige Vereinigenkönnen großer Massen an rechter Stelle 
zerstreut in allen Fällen, wo Erfolg und Sieg auf überlegener Machtentfaltung 
beruhen, alle sich geltend machenden Bedenken. Denn das Gefühl der Uber- 
legenheit besiegt in der Regel alle Zweifel in strategischkritischen Lagen. Darf 
der Heerführer an der Überzeugung größerer Leistungsfähigkeit seiner eignen
	        
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