138 Fürst Otto von Bismarck-Schönhausen, der erste deutsche Reichskanzler.
geschlummerten Gäste von ihren Nachbarn durch Pistolenschüsse geweckt wurden,
so daß die Kugeln über ihnen in die Decke schlugen und der Kalk bröckelnd
ihnen ins verstörte Antlitz fiel. Dann wieder erschien der junge Gutsbesitzer
der Umgegend durch zehn Meilen weite Ritte wie ein Centaur. Zuweilen
führte er an seines Bruders Statt die landrätliche Verwaltung, und vorüber-
gehend trat er auch als Kreisdeputierter und Abgeordneter des Provinzial-
landtags auf. In Potsdam, wo er sich abermals als Regierungsreferendar
versuchte, ward ihm seine Stellung durch das hochfahrende Wesen seiner
büreaukratischen Vorgesetzten bald verleidet. Dazwischen tröstete ihn ein leb-
haft unterhaltener Briefwechsel mit seiner Schwester Malwine, und zur Ab-
wechselung that er auch bei dem vierten Ulanenregiment in Treptow und
Greiffenberg Dienst; denn das lustige Offiziersleben behagte ihm. Nach des
Vaters Tode (1845) erhielt er außer Kniephof noch das Stammgut Schön-
hausen. Hier wurde er Deichhauptmann, Mitglied des sächsischen Provinzial-
landtags und 1847 des Vereinigten Landtags in Berlin.
Auf dem Vereinigten Landtag von 1847 war er noch ein halb mittelalter-
licher Recke — einer der radikalsten, aber auch einer der geistvollsten Vertreter
der sogenannten „Junkerpartei“. Gleich seine erste Außerung erregte einen
Sturm des Unwillens, und doch hatte er ganz Recht mit der Behauptung, es
zieme sich nicht, die Berechtigung der Nation zu einem größeren Maß der Frei-
heit daraus herzuleiten, daß sie 1813 die Schmach der Fremdherrschaft un-
erträglich gefunden habe. Bezeichnend war es, daß er dem „christlichen Staat“
nach Stahls Anschauung das Wort redete, den nur die „unbeschränkte Krone“
überglänzen sollte, daß er die Patrimonialgerichtsbarkeit und den Innungs-
zwang verteidigte. Ja, er bekämpfte sogar manche Gesetzentwürfe des Ministe-
riums Manteuffel, weil sie ihm noch zu freisinnig dünkten! Bei alledem waren
seine Reden schon damals auffallend durch ihren Inhalt und innere Kraft,
durch untadelhafte Logik und den vornehmen Ton der Kampfweise; er machte
den Eindruck einer fertigen Persönlichkeit. Seine damalige herausfordernde
Sprache, die bald Unwillen, bald Heiterkeit erregte, läßt sich leicht aus der Er-
bitterung über zahlreiche Angriffe, die er erfuhr, erklären; mehr aber noch aus
dem Bewußtsein, seinem Stande schuldig zu sein, gegen eine demselben un-
günstige Zeitströmung anzukämpfen. Einzig in ihrer Art ist die Abfertigung,
welche er etwas später einem Diplomaten zu teil werden ließ, der ihn nach der
Bedeutung seines einzigen Ordensschmuckes, einer kleinen bescheidenen Denk-
münze, fragte, und dessen spöttische Reden er mit den Worten beantwortete:
„Ich habe die Gewohnheit, zuweilen einem Menschen das Leben zu retten.“
Seine kraftvollen Außerungen aus jener oder späteren Zeiten freilich wörtlich
nehmen zu wollen, wäre Thorheit. Niemandem konnte es in den Sinn kommen,
ihn deshalb für einen zweiten Nero zu halten, weil er in einer übermütigen
Stunde dem liberalen Bürgertum grollend die Worte hinwarf, „die großen
Städte müßten von der Erde vertilgt werden, weil sie die Herde der Re-
volution seien."
Als die Wogen der Bewegung von 1848 über Deutschland zusammen-
schlugen, hatte Bismarck kurz vorher seinen Hausstand gegründet und sich am