Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

142 Fürst Otto von Bismarck-Schönhausen, der erste deutsche Reichskanzler. 
wieder entzogen und nach Berlin berufen, um in eine Laufbahn einzutreten, 
die zu den schwierigsten gehört hat, welche jemals ein Staatsmann durchschritt. 
— Daß Bismarck in Paris Zugeständnisse, die auf eine Abtretung deutschen 
Bodens hinausliefen, gemacht haben sollte, glaubt heute niemand mehr. 
Napoleon III. dachte allerdings eine Zeitlang daran, die Umgestaltung Europas 
im Einverständnis mit Preußen bewerkstelligen zu können, und er hatte schon 
im Jahre 1851, vor dem Staatsstreiche, die maßgebenden Kreise in Berlin 
durch seinen Vertrauten Persigny aushorchen und Preußen ein Bündnis an- 
tragen lassen, das jedoch abgelehnt wurde. Dennoch ist er nachmals darauf 
wieder zurückgekommen. Als Bismarck dem Kaiser Napoleon näher trat, fand 
er dessen Gesundheit schon sehr zerrüttet; seine Leiden hatten ihn nach dem 
Seebade Biarritz geführt. Ein Augenzeuge erzählt uns: „Oft sah man diese 
beiden europäischen Größen in ungezwungenster Weise und im Gespräche vertieft 
am Strande dahin wandeln, in der Ferne gefolgt von einigen Herren ihrer Um- 
gebung. Louis Napoleon im dunklen, halb zugeknöpften Rocke, mit schwarzem, 
hohem Hute, schritt dann wie ein Privatmann, nur ein kleines Ordensband im 
Knopfloch tragend, neben Bismarck hin, der einen langen hellen Überzieher und 
einen breitkrempigen gelben Strohhut trug. Kein Orden, kein Abzeichen ver- 
riet den einflußreichen Staatsmann.“ 
Bei seinen patriotischen Absichten mußte es Bismarck heftig verdrießen, 
wenn die Stimmführer der Parteien in der deutschen Presse es gar nicht 
merken wollten, „daß man gegen das bessere Teil seiner eignen Bestrebungen 
arbeitete", indem man ihn angriff. Und doch läßt sich das Verhalten der 
liberalen Tagesblätter und der öffentlichen Meinung in den Jahren 1862 bis 
1866 wohl rechtfertigen. Der in grellen Farben malende und in noch 
grelleren Tönen geschilderte Junker Bismarck aus dem Vereinigten Landtag 
und dem Erfurter Parlament war sattsam bekannt, und von den Wandlungen 
des gereiften Staatsmannes Bismarck konnte man damals kaum eine Ahnung 
haben, noch viel weniger von der außerordentlichen Tragweite der bereits be- 
sprochenen Reorganisation der Armee, für die der neu herangezogene Ratgeber 
des Königs nun in die Schranken treten sollte. 
Der enge Zusammenhang der Armeereorganisation mit den weit aus- 
schauenden Plänen des nunmehrigen Leiters der auswärtigen Angelegenheiten 
Preußens lag damals noch hinter dem Zukunftsschleier verborgen. Eine Ver- 
wendung des vermehrten Heeres zu wahrhaft nationalen Zwecken erwartete 
man längst nicht mehr von jenem Preußen, das sich seit so vielen Jahren bis 
zur Selbstdemütigung friedliebend gezeigt hatte, ebensowenig von einem Staats- 
manne, der, wie man sich sehr wohl erinnerte, für den Tag von Olmütz Worte 
der Anerkennung ausgesprochen hatte. Es verschlug nichts, daß Bismarck 
unterdessen als Gegner der österreichischen Politik aufgetreten war; wenige 
nur empfanden damals Osterreichs Oberherrlichkeit in Deutschland als eine 
Fremdherrschaft, die nötigenfalls mittels Waffengewalt abzuschütteln sei. 
So sah sich denn Bismarck einer entscheidenden Mehrheit der Volksver- 
tretung gegenüber, die am 23. September 1862 ablehnte, die Ausgaben für 
die Reorganisation des Heeres zu genehmigen. Darauf zog Bismarck den
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.