Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

Bismarck als Präsident des Staatsministeriums. 143 
Etat für 1863 zurück und versprach, ihn zu Anfang des folgenden Jahres in 
Verbindung mit einem Gesetzentwurfe vorzulegen, welcher die Armeereform 
endgültig regeln sollte. Das Abgeordnetenhaus verwarf aber dieses An— 
erbieten und bestand auf Feststellung des Budgets vor 1. Januar 1863, indem 
es jede fernere Verwendung von Staatsgeldern zum Zwecke der von der 
Volksvertretung abgelehnten militärischen Neubildungen für verfassungswidrig 
erklärte. 
LSismarck, Leiter der preußischen politik. Am Tage darauf, am 8. Oktober, 
ward Bismarck zum Präsidenten des preußischen Staatsministeriums und zum 
Minister der auswärtigen Angelegenheiten ernannt. Als dann das Herrenhaus 
das Budget in der von den Abgeordneten veränderten Gestalt verwarf und 
statt dessen die ursprüngliche Vorlage der Regierung annahm, durch welche 
sämtliche für das Heer geforderten Gelder bewilligt wurden, lehnte die Zweite 
Kammer den Beitritt zu diesem „gegen den klaren Sinn und Wortlaut der 
Verfassung verstoßenden“ Beschluß, wodurch sich das Oberhaus das Geld- 
bewilligungsrecht des Unterhauses anmaße, entschieden ab. Die Folge dieser 
Vorgänge war eine steigende Erbitterung auf beiden Seiten. Bismarck verdarb 
es damals mit gar manchem, indem er sich nicht selten zu einer Schärfe im 
Meinungsausdruck und zu einer Haltung hinreißen ließ, welche die politischen 
Gegner tief verletzen mußte und selbst von seinen Freunden nicht immer ge- 
billigt wurde. 
Bismarcks Gegner vergalten freilich im Innern und außerhalb des 
Ständesaales die ihnen widerfahrene Behandlung. War Bismarck in seinen 
Außerungen gegen seine politischen Widersacher und namentlich auch gegen die 
fortschrittlichen „Zeitungsschreiber“ oft scharf bis zur Rücksichtslosigkeit, so 
wurde er dafür auch selbst in Wort und Schrift und in den Zeichnungen der 
Witzblätter nicht geschont. Manches „geflügelte Wort" des späteren „eisernen 
Kanzlers“ ist schon in jener Zeit seiner ersten preußischen Ministerpräsident- 
schaft entstanden. 
Zur Rechtfertigung Bismarcks oder als Entschuldigung, wenn derselbe 
seiner tiefen Verstimmung immer unverhohlener in Worten und Haltung Aus- 
druck verlieh, läßt sich allerdings anführen, daß dieser große Geist, ausgerüstet 
mit seltenem Scharf= und Weitblick und mit der höchsten staatsmännischen 
Begabung, sich wohl öfter wie ein Riese gegenüber einer Schar von Zwergen 
dünken mochte. Er begegnete im Abgeordnetenhause zumeist nur geringer 
politischer Erfahrung und Einsicht, Ubung und Gewandtheit, dagegen um so mehr 
kleinbürgerlichem Geiste und engherzigen Parteivorurteilen, und mancherlei An- 
klänge erinnerten noch an die keifende Ohnmacht früherer Landtage aus der 
Umsturzzeit. Das Heil des Staates liegt für den hochstrebenden Staatslenker 
nicht immer in der starren Form des augenblicklich geltenden Rechtes — für 
ihn ist die Staatswohlfahrt, wenn sie sich auch nur auf abweichendem Wege 
erreichen läßt, das höchste Gesetz, und so wird die Geschichte über Bismarck 
nicht sehr scharf Gericht halten — weil er für uns eine Waffenrüstung 
schmiedete, der Volksvertretung zum Trotz. Für die Folgen dieses Schrittes 
blieb er mit Leib und Leben haftbar, und wenn sie Preußen zum Segen ge-
	        
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