154 Der Deutsch-dänische Krieg.
Der Deutsche Bund stand zu der Streitfrage anders als sterreich und
Preußen. Die beiden deutschen Großmächte hatten das Londoner Protokoll
unterzeichnet, der Deutsche Bund nicht. Nach diesem Protokoll sollte die Krone
auf Christian IX. übergehen; in Frankfurt aber betrachtete man die Thronfrage
als eine offene, namentlich galt nicht Christian als der nächstberechtigte Thron=
folger. Wer aber war der eigentliche Erbe der dänischen Krone?
Vor der Unterzeichnung des Londoner Protokolls stand fest, daß nach
dem Aussterben des Mannesstammes in Dänemark die Krone an das herzog-
liche Haus Schleswig-Holstein = Sonderburg = Augustenburg fallen sollte. Daß
dieses Recht durch das Londoner Übereinkommen gekränkt worden war, hatte
Rußland verschuldet. Ihm war es darum zu thun gewesen, ein ihm verwandtes
Fürstenhaus auf den dänischen Thron zu bringen, um dadurch für die Zukunft
größeren Einfluß in Dänemark zu gewinnen. Die nächste Folge davon war
gewesen, daß der in seinen Rechten geschädigte Herzog Christian August
von Schleswig-Holstein-Augustenburg Widerspruch erhoben hatte. Nach
kurzem Besinnen leistete er jedoch gegen eine Summe von 3750 000 Mark
auf sein Erbrecht Verzicht. Seine zwei volljährigen Söhne unterzeichneten
die Verzichtleistungsurkunde zwar nicht, allein sie legten auch nicht Verwahrung
gegen den Vollzug derselben ein.
Jetzt nun — neun Jahre später — trat der älteste der Söhne, Friedrich,
gegen die Verzichtleistung des Vaters auf. Die große Mehrheit der Be-
wohner der Herzogtümer sprach sich für ihn aus, und bald fand er auch An-
hänger allerorten in Deutschland, wo das Bewußtsein der Zugehörigkeit
Schleswig-Holsteins zur deutschen Stammesgemeinschaft plötzlich wieder in
voller Stärke erwacht war und infolge des Zusammentreffens besonderer Um-
stände zu einem förmlichen Wetteifer zwischen dem Bunde einerseits und den
beiden Großmächten anderseits zur Beschützung des bedrohten Deutschtums
der Nordmarken führte.
Der Deutsche Bund hatte bereits zu verschiedenen Malen und immer ernst-
licher Dänemark an seine Pflicht gemahnt, die Selbständigkeit der Herzogtümer,
soweit sie diesen zugesagt war, zu achten. Dänemark hatte jedoch unbekümmert
seinen Weg weiter verfolgt und die Mahn= und Drohnoten des Bundes mißachtet.
Die letzte Antwort Dänemarks war die am 18. November vom Könige voll-
zogene Unterzeichnung des neuen, die Einverleibung von Schleswig betreffenden
Grundgesetzes gewesen. Nun gelangte der Antrag, die Dänemark angedrohte
Exekution unverzüglich auszuführen, mit acht gegen sieben Stimmen im Bundes-
rate zur Annahme. Um dieselbe Zeit kündigte sich Herzog Friedrich von
Augustenburg den Schleswig-Holsteinern in einer Proklamation als ihren
Herzog an, und frendig stimmten ihm die Bewohner der Herzogtümer zu. Für
Schleswig-Holstein, längst Deutschlands „Schmerzenskind“, regte sich nun
überall in den deutschen Landen die alte Teilnahme von neuem. Auf dem
Wege des revolutionären Umschwungs waren die Herzogtümer nicht weit ge-
kommen; vielmehr hatte sich nach Darbringung schwerer Opfer ihre Lage nur
noch verschlimmert. Wie günstig hatte sich jetzt plötzlich die Sache gestaltet!
Ein legitimer Erbe war da, und der Deutsche Bund hatte beschlossen, bewaffnet