Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

6 Zustände in Deutschland, Preußen und SÖsterreich. 
alte und neue Landesteile mit verschiedenen Gewohnheiten und Interessen zu 
verschmelzen waren, und wo unter dem Einfluß der politischen Entwickelung 
überhaupt ein freierer Geist herrschte, lenkten die Regierungen rasch in die Wege 
verfassungsmäßigen Staatslebens ein. 
König Maximilian I. verlieh Bayern im Jahre 1818 eine Verfassung; 
Großherzog Karl von Baden gewährte im Jahre 1819 eine noch freisinnigere; 
Württemberg folgte nach dem Regierungsantritt des wohlmeinenden Königs 
Wilhelm I. In Hessen -Darmstadt gab Großherzog Ludwig zögernd eben- 
falls den Volkswünschen nach; auch in Nassau fügte sich die Regierung, wenn 
auch erst später, dem Verlangen des Volkes. Fast alle andern Staaten aber, 
namentlich Preußen, auf das man so hoffnungsvoll hingeblickt hatte, ließen es 
bei den Versprechungen bewenden. In den national gesinnten Kreisen nährte 
diese Enttäuschung ein Gefühl der Bitterkeit, das sich bei der studentischen Jugend 
gar bald in schwärmerischen und überspannten Kundgebungen äußerte. 
Der siebzigjährige Kurfürst Wilhelm I. von Hessen, der von 1806 bis 
1813 außer Landes gelebt, während sein Land einen Teil des Königreichs 
Westfalen gebildet hatte, strich diese Zeit als ungültig in der Weltgeschichte aus 
und verordnete, daß seine Unterthauen in den Zustand von 1806 sich zurück- 
versetzen sollten — man trug daher zeitweilig wieder Zöpfe und puderte sich. 
Er war ein wunderlicher Herr, dieser Kurfürst, indes er bot doch seinem Volke 
eine Verfassung an, die gar nicht so übel war. Nur im Geldpunkte wollte er 
sich nichts dreinreden lassen. Trennung der Privat= und Staatskasse schien ihm 
bei einem so kleinen Lande nicht der Mühe wert; da jedoch bei Geldangelegen- 
heiten in der Regel die Gemütlichkeit aufhört und die Abgeordneten Hessens 
darauf bestanden, in finanziellen Fragen doch gehört zu werden, so schickte 
der Kurfürst sie einfach wieder nach Hanuse. 
Hätte man auch in Preußen als Losung „verfassungsmäßige Freiheit“ auf 
die Fahne geschrieben, so wäre vermutlich schon damals die „deutsche Frage“ in 
den Vordergrund unfrer politischen Entwickelung eingetreten. König Friedrich 
Wilhelm III. schwankte jedoch hin und her zwischen der neuen Zeitrichtung 
und den alten Überlieferungen; dazu kamen Befürchtungen vor Revolution und 
Umsturz, welche in dem Monarchen durch seine nächste Umgebung und besonders 
auch durch den damaligen Leiter des österreichischen Staatsschiffes geflissentlich 
genährt wurden. Der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich bestärkte 
die Regierungen in ihren freiheitsfeindlichen Maßnahmen mit dem Hinweis 
auf mancherlei unliebsame Begleiterscheinungen des nationalen, nach Geltend- 
machung der Volksrechte ringenden Aufschwungs, wie sie in der Erregung der 
Gemüter, insbesondere der deutschen Jugend, zu Tage traten. Erfüllt von 
wohlmeinenden, aber unreifen Ideen, vermochte die Mehrzahl der jungen Leute 
nicht mit den thatsächlichen Verhältnissen zu rechnen, und in teilweiser Selbst- 
überhebung hielten die Überspannten sich für berechtigt, selber in die Speichen 
des Rades der Geschichte mit einzugreifen. 
Die geheimen Verbindungen. f. K. Sand. Auf den Universitäten, vor- 
nehmlich zu Halle und Jena, war nach dem Kriege die kurz zuvor durch den 
Turnvater Jahn und seine Genossen Eiselen und Friesen neu belebte deutsche
	        
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