Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

Der offene Brief. 15 
„Wie kann man es verbieten“, so hieß es, „unsre Angelegenheiten in 
bezug auf das allgemeine Beste öffentlich zu besprechen? Dürfen die Arzte, 
Naturforscher, Landwirte und Architekten doch in ihren Jahresversammlungen 
auch zusammentreten!“ Was so immer lauter und rückhaltloser verlangt ward, 
besprachen die Zeitungen weiter. Und wie sich die Zensur nicht länger aufrecht 
halten ließ, so mußte man auch das Recht zu öffentlichen Versammlungen 
schließlich zugestehen. In Wort und Schrift wurde nun die Sprache immer 
freier und kühner. 
Ver „offene Grief“. Nur vorübergehend ward die Aufmerksamkeit von 
den inneren Schwierigkeiten hinweg auf Fragen der auswärtigen Politik hin- 
gelenkt, so besonders, als die stammverwandten schleswig-holsteinischen 
Herzogtümer, die sich ohnehin den dänischen Machtgelüsten gegenüber längst 
in arg bedrängter Stellung befanden, von einer neuen, schweren Vergewaltigung 
bedroht schienen. König Christian VIII. von Dänemark, welcher als Herzog von 
Holstein zugleich deutscher Bundesfürst war, hatte durch einen am 6. Juli 1846 
von ihm erlassenen „offenen Brief“ den heftigen und begründeten Unwillen 
der für die Erhaltung ihres deutschen Volkstums kämpfenden deutschen Be- 
wohner der Herzogtümer erregt. Das schroffe Auftreten derjenigen Partei in 
Dänemark, die ganz offen und dreist auf eine völlige Verschmelzung der Elb- 
herzogtümer mit Dänemark und auf deren Danisierung oder Entdeutschung los- 
steuerte, stieß bei den Schleswig-Holsteinern auf hartnäckigen Widerstand. Die 
Hilfe des deutschen Vaterlandes, auf welche der bedrückte Bruderstamm rechnete, 
blieb freilich vorläufig aus. Die Trägheit und Zaghaftigkeit, mit welcher der 
Bund diese Frage behandelte, bestärkte Dänemark in seinem Trotze und warf 
ein grelles Licht auf die Unzulänglichkeit dieser angeblich zum Schutze der 
deutschen Gesamtinteressen geschaffenen Zentralgewalt. 
Mehr Teilnahme als bei den Regierenden fand der bedrängte Bruder- 
stamm beim deutschen Volke. Allerorten fanden Kundgebungen statt, welche 
einen thatkräftigen Schutz des bedrohten Deutschtums der Nordmarken ver- 
langten, und auch der zum 11. April 1847 in Berlin eröffnete erste Ver- 
einigte Landtag der preußischen Monarchie bezeigte sein lebhaftes Interesse 
für das meerumschlungene deutsche Grenzland. Überhaupt schienen die Ver- 
handlungen dieses ersten preußischen Landtages auch bezüglich der Verfassungs- 
bewegung die Hoffnung auf allmähliche friedliche Erreichung des erstrebten 
Zieles nicht auszuschließen. Da traten zu Anfang des Jahres 1848 unerwartet 
Ereignisse ein, welche mit einem Male eine. vollständige Umwandlung der euro- 
päischen Verhältnisse herbeiführten. 
Die Februarrevolution (1848) und ihre Folgen. 
Der gewaltsame Umschwung ging auch diesmal von Paris aus. König 
Louis Philipp von Frankreich, aus dem Hause Orleans, der Nachfolger 
Karls. X., des letzten Bourbons auf dem französischen Throne, hatte durch seine 
rückschrittlichen Gelüste und seine Abhängigkeit vom Auslande seine Stellung 
nach und nach gänzlich untergraben. Als nun der übel beratene Monarch im
	        
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