Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

318 Der Feldzug der Mainarmee. 
um sie auf seine Seite zu ziehen, zumal die preußische Königsfamilie mit 
diesen Fürstenhäusern verwandt ist; ja König Wilhelm würde auf jegliche 
militärische Unterstützung von jener Seite gern Verzicht geleistet haben, wenn 
nur dadurch der Bruderkrieg im Westen Deutschlands zu vermeiden gewesen 
wäre. Er hatte jenen Fürsten noch in der letzten Stunde, wie bereits 
erwähnt, Vorstellungen und Anerbietungen machen und sie aufs dringendste 
bitten lassen, sich wenigstens neutral zu verhalten. Seine Bemühungen waren 
jedoch vergeblich gewesen. 
Auf die Umstände, welche Preußens Vorgehen im Süden und Westen 
Deutschlands so sehr begünstigten, läßt sich der alte Spruch anwenden, daß 
das Geschick diejenigen, welche es verderben will, zunächst mit Blindheit schlägt. 
Wir haben gesehen, daß infolge der Abgeneigtheit, sich mit Preußen zu ver- 
ständigen, ungesäumt und gleichzeitig die Besetzung von Sachsen und Hannover, 
sowie die von Kurhessen erfolgt war. 
General von der Tann hatte am 14. Juni die Konvention von Olmütz 
mit Osterreich abgeschlossen. Die Aussichten schienen günstig. Nur der schwä- 
chere Teil der Mittel= und Kleinstaaten Deutschlands war bei Ausbruch des 
Krieges auf Preußens Seite getreten, der bei weitem stärkere Teil dagegen 
Osterreichs Fahnen gefolgt. Die Streitkräfte von Bayern, Württemberg, den 
beiden Hessen, von Baden, Nassau 2c. bildeten eine ganz stattliche Armee, und 
wenn die Menge der Kämpfer und deren Tapferkeit im Kriege allein entschiede, 
so möchte Preußen der Sieg wohl schwerer geworden sein. Aber. es kommt 
allezeit weniger auf die Massen an sich, als darauf an, wie diese geführt werden. 
Bei den Gegnern Preußens wollte alles nicht recht klappen und passen. 
Kein Wunder! Zuerst war der Oberbefehlshaber der gesamten südwestdeutschen 
Streitkräfte, der einundsiebzigjährige Prinz Karl von Bayern, der in 
jüngeren Jahren im Rufe eines tüchtigen Soldaten gestanden, jedoch nie 
selbständig ein Heer geführt hatte, jetzt nicht mehr der Mann, um Ordnung 
und Einheit in die so ungleichen Teile eines so ungefügigen Ganzen zu bringen; 
aber auch Prinz Alexander von Hessen, wiewohl er im italienischen Kriege 
unter Osterreichs Fahnen ehrenreiche Kämpfe bestanden und seitdem als ein 
kriegserfahrener Heerführer galt, hat im Feldzuge gegen Preußen keine wei- 
teren Lorbeeren zu ernten vermocht. Die Verhältnisse zeigten sich auch hier 
stärker als die Menschen. Was zur Hebung der bayrischen Heeresverfassung 
in fünfzig Jahren unterlassen worden war, ließ sich nicht in der kurzen Zeit 
von wenigen Monaten nachholen oder bessern. Der bayrischen Armee fehlte 
es nicht an wackeren Offizieren, ihr gehörten u. a. Heerführer wie von der 
Tann, den wir bereits kennen, dann Hartmann und andre an, die sich später, 
im Jahre 1870/71, als durchaus tüchtige Kriegsmänner bewährt haben. Doch 
selbst ein unzweifelhaft hochbefähigter Soldat wie von der Tann, der dem 
Prinzen Karl als Generalstabschef beigegeben war, konnte dem Verhängnis 
nicht Einhalt gebieten. Er sah die kommenden Dinge voraus. Bei Kissingen 
am 10. Juli am Halse durch einen Streifschuß verwundet, rief er, vom Ver- 
laufe des Feldzuges im höchsten Grade beunruhigt, seufzend aus: „Ich wollte, 
der Schuß säße tiefer!"
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.