320 Der Feldzug der Mainarmee.
War es schon mit der Führung der süddeutschen Streitkräfte nicht zum besten
bestellt, so traten bald noch viel störender zahlreiche andre Mißstände in voller
Schärfe zum Vorschein. In Bayern befand sich ein andres Schießgewehr, ein
andres Geschütz, ein andrer Schießbedarf in Gebrauch als beim VIII. Armee-
korps, und die Nassauer und Osterreicher hatten wieder für sich besondere
Einrichtungen — ganz abgesehen von der Uniformierung und der Marsch= und
Gefechtsweise der Soldaten, dem verschiedenartigen Kommando und der wider-
willigen Unterordnung der Befehlshaber, was alles bei diesen an sich schon so
verschiedenartigen Truppenteilen eine Menge Unzuträglichkeiten zur Folge haben
mußte. Wie ganz anders stand es da auf der andern Seite beim Gegner! Bei
den Preußen wußte man nur von einer Uniform, einem Gewehr, einem
Kommando. Dabei galt eine bei weitem strengere Mannszucht, und vor allem
gab es eine einheitliche Führung, welche alle Regimenter und Batterien
wie die Räder eines einzigen Uhrwerkes zusammenhielt. Was solch ein ein-
heitliches Wollen und Handeln heißen will, das sollte sich auch in diesem Feld-
zuge bald zeigen. Vornehmlich die unselige Zersplitterung der feindlichen
Kräfte hat es den Preußen möglich gemacht, in raschem Siegesfluge von Han-
nover und Kassel nach Bayern, an den Main, Neckar, nach Franfurt a. M.,
Darmstadt, Karlsruhe zu gelangen — trotz der außerordentlich großen Uber-
macht auf Seite der Gegner.
Die Aufgabe der Mainarmee bestand von vornherein darin, mehr durch
geschicktes Manövrieren als durch ernste blutige Kämpfe das gesteckte Ziel
zu erreichen. Und wie überraschend bald war man am Ziele angelangt! Der
Siegeszug der Mainarmee liest sich wie ein Heldengedicht; was hier im nach-
folgenden erzählt wird, kann nur einen flüchtigen Schattenriß der wirklichen
Geschehnisse bieten.
Von der Teine bis zum Main.
Der nächste Zweck der Preußen, die Armee des „Welfenkönigs“, wie sich
der blinde Georg V. am liebsten nennen hörte, aufzulösen, ehe sie sich mit den
Bayern vereinigen konnte, war erreicht worden. Die Hannoveraner, wiewohl
seit ihrem eiligen Abzuge nach dem Göttingenschen reichlich mit Kriegsbedarf
versehen, hatten, um durchzubrechen, den rechten Augenblick versäumt.
Nachdem die hannöversche Armee die Waffen gestreckt hatte, die Soldaten
derselben in ihre Heimat entlassen und dadurch die gegen Bayern vormar-
schierende preußische Streitmacht im Rücken gesichert war, bewegte sich letztere
von Eisenach aus westwärts in der Richtung auf Fulda weiter. Fast täglich
fanden von nun an kleine Gefechte und Scharmitzel statt.
An dem Tage, da die Armee König Georgs V. kapitulierte, waren die
Bayern nach Meiningen und tags darauf nach Suhl vorgerückt, hatten sich
aber, nachdem sie die Katastrophe von Langensalza erfahren, wieder zurück-
gezogen. Die nach ihrer Vereinigung „Mainarmee“ genannte, auf dem west-
lichen Kriegstheater selbständig operierende preußische Heeresabteilung trat
nach zwei Ruhetagen wieder den Vormarsch an, um die feindlichen Korps
zu trennen.