324 Der Feldzug der Mainarmee.
Beide Teile schrieben sich deshalb den Sieg zu.
Falckenstein wartete nun am folgenden Tage ab, was die Bayern unter-
nehmen würden. Als diese aber südwärts abzogen, um auf einem andern Wege
die Verbindung mit dem VIII. Bundeskorps zu bewerkstelligen, und auch Prinz
Alexander von Hessen sein Korps in der Richtung nach Frankfurt, als wolle
er einem Zusammenstoße ausweichen, konzentrierte, setzte die Mainarmee ihren
Vormarsch fort. Fulda wurde unbesetzt gefunden. Die Bayern hatten sich
jenseit des Rhöngebirges an der Fränkischen Saale aufgestellt und bedrohten
wiederum die linke Flanke der Preußen; daher bog Falckenstein abermals links
aus und überschritt am 9. Juli bei Brückenau die bayrische Grenze und unter
mancherlei Mühseligkeiten die Hohe Rhön. Die in den Engwegen weiter vor-
marschierende Division Göben überraschte den Feind am 10. in und um
Kissingen, während die Division Beyer, gefolgt von Manteuffel, gegen
Hammelburg vorrückte. An beiden Orten und auf dem rechten Flügel fanden
hartnäckige Gefechte statt, welche zu gunsten der Preußen endigten.
Sei Kissingen. Von diesen Gefechten ist das in Kissingen das interessanteste.
Hier fand zum Schrecken der Badegäste ein hartnäckiger Kampf um die stark
verbarrikadierte und von Granat= und Gewehrfeuer bestrichene Brücke statt,
welche über die Fränkische Saale führt. Die Entscheidung wurde wesent-
lich dadurch herbeigeführt, daß Major von Kaweczynski, der Kommandeur
des ersten Bataillons des zweiten westfälischen Infanterieregiments Nr. 15, un-
gefähr achthundert Schritt unterhalb jener Brücke bei der sogenannten Linden-
mühle einen schmalen Steg für Fußgänger entdeckte, der zwar gleich allen
andern Nebenbrücken von den Bayern abgetragen, dessen Tragebalken aber
nicht zerstört waren und dem man unbegreiflicherweise selbst das Geländer
belassen hatte.
Major von Kaweczynski schickte nun die einzelnen Kompanien seines
Bataillons und des Bataillons Lippe gegen die auf dem jenseitigen Ufer ge-
legenen Anlagen, die „Bodenlaube“ und den „Stationsberg“, sowie gegen die
Eingänge der Stadt vor, um dem Feinde nicht Zeit zu lassen, sich zu verstärken.
Das war jedoch so einfach nicht, denn die Leute mußten einzeln hintereinander
unter zunehmendem feindlichen Feuer den schmalen Steg überschreiten und sich
jenseit wieder formieren.
In der Stadt selbst entspann sich ein erbitterter Straßen= und Häuser-
kampf; während desselben kamen infolge des heftigen Nachdrängens der
preußischen Truppen die verschiedenen Truppenteile bunt durcheinander. Ein
Mitkämpfer schreibt darüber: „Wir hören das erfrischende Hurra der stürmen-
den Kompanien und müssen, unfre Verwundeten zurücklassend, unsern Weg
vorwärts nehmen. Aus allen Hecken und Häusern bekommen wir Feuer. In
den Straßen pfeifen die Kugeln und klatschen in die Mauern ein, über uns
hinweg fliegen die Granaten, ein wahres Schlachtkonzert. Nun passieren wir
das Kurhaus, eine Menge Gefangener steht schon hier, von einigen Leuten
bewacht. Jenseit Kissingen wird ein aufgelöster Schützenzug plötzlich von
einer Schwadron bayrischer Chevau-legers überrascht und überritten; der
Führer, Leutnant von Papen, wird mit dem erst kürzlich aus dem Kadetten-