Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

Zustandekommen der Reichsverfassung. 59 
seiner Länder erklärt; entweder mußte man den Kaiserstaat in seiner Gesamt- 
heit, also einschließlich Ungarns und der polnischen und italienischen Gebiete u. s. w 
in das neu zu gründende Deutsche Reich aufnehmen, oder ein Deutschland ohne 
Osterreich ins Auge fassen. Darüber entspann sich ein neuer leidenschaftlicher 
Meinungs= und Redekampf. 
Die Frage wegen Osterreichs Verbleiben im neuen Bunde spaltete die 
bisherige Mehrheit der Reichsversammlung immer mehr; immer feindseliger 
begegneten sich die Mitglieder der „großdeutschen“ und der , kleindeutschen“ 
Partei. Da man Osterreich mit all den fremden habsburgischen Kronländern 
nicht in das neue Deutsche Reich aufnehmen wollte, so blieb nur die Bildung 
eines deutschen Staatswesens ohne Osterreich übrig, also auch ohne die deutsch- 
österreichischen Provinzen mit ihrer deutsch redenden und deutsch denkenden und 
fühlenden Bevölkerung. 
Instandekommen der Reichsverfalsung. Dieser unleidliche Zustand der 
Dinge wirbelte eine Menge Staub auf und verursachte täglich neuen leiden- 
schaftlichen Streit und Hader. So kam es, daß erst in den Tagen vom 13. bis 
25. Januar 1849 die Hauptaufgabe der Nationalversammlung, die Reichs- 
verfassung, zustandegebracht wurde — freilich nur auf dem Wege des 
Kompromisses und mittels der widernatürlichsten gegenseitigen Zugeständnisse 
zwischen den Parteien, und trotzdem nur mit vier Stimmen Mehrheit! Die 
neue Verfassung enthielt 197 Paragraphen in sieben Hauptartikeln, welche das 
Reich, die Reichsgewalt, das Reichsoberhaupt, den Reichstag, das Reichs- 
gericht, die Grundrechte des deutschen Volkes, die Verfassungsgewähr u. s. w. 
betrafen. 
Die neue Reichsverfassung war also fertig — aber nur auf dem Papier. 
Zu ihrer Durchführung fehlte es dem Frankfurter Parlament an der ersten 
und wichtigsten Voraussetzung: an der Macht, seinen Beschlüssen überall in 
den deutschen Landen auch da Geltung zu verschaffen, wo man denselben ab- 
lehnend und widerstrebend gegenüberstand. Der günstige Augenblick, wo ein 
schnell entschlossen zustandegebrachtes Verfassungswerk allenfalls Aussicht auf 
Verwirklichung gehabt hätte, war längst vorüber, er war über all dem unfrucht- 
baren Streiten um nebensächliche und fernab von dem Hauptzweck liegende 
Dinge unwiederbringlich versäumt worden. Eine herbe Enttäuschung wartete 
der Männer, welche in aufrichtiger Begeisterung für die von ihnen vertretene 
Sache den Glauben an den friedlichen Sieg derselben noch nicht aufgegeben 
hatten. 
Nachdem der Streit wegen Osterreichs Aufnahme in den neuen Bund 
durch das Übereinkommen scheinbar beigelegt war, einen Deutschen Bund ohne 
Osterreich zu gründen, mit dem Kaiserstaate aber ein Schutz= und Trutzbündnis 
auf ewige Zeiten zu schließen, wurde zum Oberhaupte des Bundes mit 290 
gegen 248 Stimmen der König von Preußen, als erblicher Kaiser von Deutsch- 
land, gewählt. Eine Gesandtschaft von 34 Abgeordneten, zu der außer dem 
Präsidenten der Nationalversammlung, Eduard Simson, unter andern auch 
Arndt, Dahlmann, Friedrich von Raumer und Soiron gehörten, be-
	        
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