80 Blick auf den Bürgerkrieg in Osterreich und Ungarn, 1848 bis 1850.
dem Herzen Österreichs, in dem getreuen Wien, sprangen die Gefäße, in welchem
das Blut eines braven Volkes so lange Zeit gestockt hatte. „So kann es forthin
nicht bleiben“, sprachen selbst die geduldigsten und vertrauenseligsten Pfahl-
bürger. Tiefer Unmut erregte die Gemüter mehr und mehr gegenüber der
Regierung, welche bei ihrer ablehnenden Haltung noch immer verharrte trotz
der in Italien bereits weiter um sich greifenden Gärung und des von Frank-
reich her erbrausenden Orkans der Revolution.
Ver Wiener Märzaufstand. Aufgerüttelt durch die Sturmglocken des Auf-
standes, sah das sonst so heitere Wien in der ersten Märzhälfte die Aufregung
aufs höchste steigen, Freiheit atmende Reden wurden gehalten, die Notwendig-
keit einer Anderung des Regierungssystems dargethan. Was das heißen wollte,
darüber waren sich freilich die wenigsten klar, denn das richtige Verständnis
hinsichtlich der Tragweite einer Staatsumwälzung — und Systemwechsel hieß
so viel als Staatsumwälzung — ging wenigstens den Straßen= und den
meisten Kaffeehauspolitikern ab. Jeder verständige Mann mußte sich sagen, daß
gegenüber den für verfassungsmäßige Staatsformen so wenig vorbereiteten
Zuständen die Erwartungen zu kühn gespannt waren, und daß die von den
Tagespolitikern vorgeschlagenen Heilmittel Aussicht auf Besserung des siechen
Staatskörpers so rasch und zuverlässig, wie man hoffte, kaum gewähren konnten.
Bereits verlangte man außer Preßfreiheit, Volksbewaffnung, Verfassung, Ver-
antwortlichkeitsder Minister, Glaubens= und Lehrfreiheit, auch innigen Anschluß
an Deutschland, wo die Gestalt des deutschen Kaisers schon aus dem Zauberbann
des Kyffhäusers heraustreten zu wollen schien. Der Ruf: „Fort mit Metter-
nich!“ erscholl mit immer größerer Entschiedenheit.
Der morsche, alte Staatsbau geriet nun ins Schwanken — in der Haupt-
stadt kam es am 13. März 1848 zum Kampfe zwischen den erregten Volks-
massen und der akademischen Jugend einerseits und der aufgebotenen bewaff-
neten Macht anderseits. Erst nach wildem Blutvergießen, welches sich doch
damals wohl hätte vermeiden lassen, drang die Stimme des Volks in die
kaiserliche Hofburg. Mit den Vorstellungen einer Anzahl angesehener Bürger
vereinigten sich diejenigen mehrerer Mitglieder der Familie des Monarchen
— am Abend des 13. verbreitete sich die Kunde von Metternichs Abdankung.
Dies war der erste Sieg, den das Volk errungen — für damals der wichtigste;
die letzte Entscheidung in bezug auf völligen Systemwechsel herbeizuführen,
setzt sich jetzt die Bevölkerung von Wien in Bewegung und strömt nach der
Burg. Da öffnen sich plötzlich die Reihen der wachehaltenden Grenadiere, und
heraus fährt Kaiser Ferdinand. Er wird mit donnerndem Zuruf empfangen,
und gleich nachher vernimmt man, daß alles gewährt sei: Preßfreiheit, Ver-
fassung, Volkswehr! In drei Tagen waren die letzten Stützen eines ver-
rotteten Systems, das sich selbst nicht zu verteidigen vermochte, über den
Haufen geworfen.
Wie in der Kaiserstadt, so sah es damals in allen größeren Städten des
Kaiserstaates aus; auch Prag, Pest, Graz hatten ihren Tag des Aufruhrs. Die
Tschechen bemächtigten sich in Böhmen der Bewegung in der Absicht, sie bei
erster Gelegenheit für ihre nationalen Zwecke auszubeuten.