Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

Der Wiener Märzaufstand. 81 
Regierungsmaßnahmen von weittragendster Bedeutung für die Neugestal- 
tung des Staatswesens bezeichnen die ersten Tage des Frühjahrs 1848. Ungarn 
sowie Italien nahmen daran teil; hier wie dort gewannen jedoch die Dinge 
bald ein recht unheimliches Ansehen. Den weitgehenden Forderungen der 
nationalen Stimm führer konnte und wollte man nicht rückhaltlos entgegen- 
kommen, und nun traten immer ungestümer die entschiedeneren Heißsporne der 
Revolution hervor, deren letztes Ziel die völlige Losreißung einzelner Kron- 
länder aus dem Staatsverbande der habsburgischen Monarchie war. 
Nachmärzliche Jgeiten. Der Frühlingsbewegung des Jahres 1848 folgten 
die Erhebung Italiens und Ungarns sowie die Unruhen in Böhmen. Die Un- 
abhängigkeitsbestrebungen der Lombarden und Venezianer fanden ihren Abschluß 
durch die Niederwerfung Karl Alberts von Sardinien, die Wiedereinsetzung der 
vertriebenen kleinen Herrscher aus dem Hause Habsburg-Lothringen, die Unter- 
drückung der Freiheitskämpfe der Italiener. Während Radetzktys Schwert in 
Italien für die „Sache der Ordnung“ siegte, wußte man in Wien nicht, was 
man thun und lassen sollte; die Regierung schien völlig kopflos — die Ab- 
reise Kaiser Ferdinands aus Wien nach Innsbruck vollendete die Verwirrung. 
Ein Aufstand in Prag mußte vom kaiserlichen Generalissimus, Fürst 
Windischgrätz, mit blutiger Hand niedergeschlagen werden. Mit den Hoffnungen 
auf ein slawisches Reich war es in Böhmen vorbei, und der eiserne Ordnungs- 
retter konnte nun seinen Blick auf Wien richten. 
Nach der Reichshauptstadt waren damals alle revolutionären Elemente aus 
den durch Militärgewalt nicht in Schranken gehaltenen Landesteilen zusammen- 
geströmt. Die kaiserliche Familie hatte zuerst der kaiserlichen Hofburg, dann 
dem Lustschloß Schönbrunn den Rücken gekehrt und sich nach Olmütz gewendet. 
In Wien, das man sich selbst überlassen hatte, regierte die Sorglosigkeit oder 
richtiger der Unverstand der Umsturzpartei. Fürst Windischgrätz hatte, mit 
Jellachich, dem Ban von Kroatien, vereinigt, sich Wien genähert, um die 
Ordnung wieder herzustellen, und alsbald die Hauptstadt umschlossen, deren 
Kommandant, Graf Auersperg, die Wiener Besatzung aus der Stadt geführt 
hatte, um sich mit derselben dem Fürsten-Feldmarschall zur Verfügung zu stellen. 
In Wien ging jetzt alles drunter und drüber. An der Spitze der National- 
garde stand der ehemalige Leutnant Messenhauser; die akademische Legion 
und die aus bezahlten Leuten meist der untersten Volksschichten gebildete Mobil- 
garde befehligte der polnische General Bem. Ob es aber den Freiheitsschwär- 
mern so sehr darum zu thun war, sich auf Leben und Tod mit den kaiserlichen 
Truppen zu schlagen, schien zweifelhaft; vielmehr traten die Revolutionsmänner 
mit Windischgrätz wegen der Übergabe von Wien in Unterhandlungen, die erst 
abgebrochen wurden, als die längst ersehnte ungarische Hilfsarmee zum Ent- 
satze der Aufständischen herannahte. Die Führer des Aufstandes beschlossen 
nunmehr, den Kampf fortzusetzen. Erfolg hatten sie damit nicht. Windischgrätz 
schickte den Ungarn eine Truppenabteilung entgegen, welche den Zuzug zurück- 
trieb, und am 31. Oktober 1848 erfolgte die Erstürmung der Stadt, über 
welche alsbald der Belagerungszustand verhängt ward. Die Wiederhersteller 
der Ordnung übernahmen es, die Pflicht des Gehorsams den Bürgern durch 
Vaterl. Ehrenbuch. II. 6
	        
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