Metadata: Preußisches Verwaltungsrecht.

390 Besonderer Teil. 
Strafsatzung“ verbindet (vgl. Neumann, Das Blankostrafgesetz S. 85). 
Die Bestimmung in Art. 4 Ziff. 2 Bayr. Kriegs Zust.-G. ist ein unvoulständiges 
Gesetz, „Blankogesetz“, das einen strafrechtlichen Tatbestand nicht feststellt 
und zu einem vollständigen Strafgesetze erst durch eine innerhalb der ge- 
zogenen Grenze erlassenen Vorschrift des Militärbefehlshabers wird. Der 
Inhalt der Vorschrift kann entscheldend sein für die Beantwortung der Frage, 
ob nur vorsätzliches Zuwiderhandeln oder auch nur fahrlässige Übertretung zu 
bestraten ist (Urt. des RG. vom 12. April 1915; DJZ. 20, 117). 
Die Vorschrift verleiht also auch nach dieser Richtung der Zuwider- 
handlung ihre strafrechtliche Bedeutung und offenbart sich dadurch als wesent- 
licher Bestandteil der Strafbestimmung. Der Umstand, daß es sich um eine 
verwaltungsrechtliche Maßnahme handelt, kann nicht in Frage kommen. Ent- 
scheidend kann auch nicht sein, ob die Strafsatzung und die Strafnorm in 
einer Bestimmung verbunden sind oder nicht (Köhler, Die Strafbarkeit bei 
Rechtsirrtum S. 28b, 39). 
Der Unterschied zwischen der Rechtsanschauung des Reichsgerichts und 
der des Senats ist vor allem von Bedeutung, wenn es sich um die Frage 
handelt, ob Unkenntnis des Strafgesetzes einen Schuldausschließungsgrund 
bildet oder bei der Entscheidung über die Schuldfrage überhaupt nicht zu 
beachten ist. Der Senat steht nun auf dem Standpunkte, daß diese Frage nur 
nach dem besonderen Inhalt des Gesetzes über den Kriegszustand beantwortet 
werden kann (vgl. Köhler, Die Strafbarkeit bei Rechtsirrtum S. 17 Ziff.3 
S. 33 ff. [39], 42 ff.). Er hat deshalb mit Rücksicht darauf, daß die Vor- 
schriften der obersten Militärbefehlshaber außerordentliche Maßnahmen sind, 
die häufig ein sonst erlaubtes Tun ausnahmsweise verbieten, ohne daß die 
Umstände und besonderen Verhältnisse, die zu der Ausnahmebestimmung führ- 
ten, dem einzelnen, selbst bei Anwendung aller gebotenen Sorgfalt und Auf- 
merksamkeit erkennbar wären, die ausnahmslose Anwendbarkeit des Grund- 
satzes, daß ein Irrtum über das Strafgesetz unbeachtlich sei, verneint. Bereits 
in dem Urteile vom 29. April 1915 (Beibl. zum Bayr. JMl. S. 135 ff. 
I140|) wurde ausgesprochen, daß die unverschuldete Unkenntnis einer Vor- 
schrift einen Schuldausschließungsgrund bilden könne. An dieser Anschauung 
hat der Senat seither festgehalten. Für ihre Richtigkeit sprechen auch die Ver- 
handlungen über den Entwurf des Gesetzes in der Kammer der Abgeordneten 
(Verh. d. Kammer d. Abg. 1912 Bell. Bd. 88 S. 822 (8261, Sten B. Bd. VI 
S. 498 ff. 1512/130|). Folgerichtig ist die Anwendung des Grundsatzes auch 
entsprechend einzuschränken, wenn ein Irrtum über den Inhalt und die Trag- 
weite einer Vorschrift in Frage kommt. Selbstverständlich kann auch hier 
nur ein völlig unverschuldeter Irrtum, der nach den besonderen Umständen und 
Verhältnissen des Täters für ihn aller Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt bei der 
Auslegung der Vorschrift zu vermeiden war, als Schuldausschließungsgrund 
gelten . . .“ 
Der Ansicht des Reichsgerichts ist der Vorzug zu geben. 
Vgl. auch die Kritik beider Entscheidungen von Frank in der JW. 
45 S. 440 Anm. Ziff. 21). 
1) Die Bek. des Bundesrats über die Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen 
Vorschriften über wirtschaftliche Maßnahmen v. 18. Januar 1917, nach welcher, wenn 
der Beschuldigte in unverschuldetem Irrtum über das Bestehen oder die Anwendbarkeit 
der übertretenen Vorschrift die Tat für erlanbt gehalten hat, die Staatsanwaltschaft bei 
noch nicht erhobener öffentlicher Klage die Einstellung des Verfahrens beantragen 
kann bzw. nach Erhebung der öffentlichen Klage das Gericht die Eröffnung des Haupt- 
verfahrens ablehnen kann und den Angeschuldigten außer Verfolg zu setzen hat, sofern
	        
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