Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Erstes Eapitel. 
Ansicht der Stellung Friedrich Wilhelm I. in den politischen 
Verwickelungen von 1715— 1722. 
Selbst das innere Wesen des preußischen Staates war durch die 
Theilnahme seiner Fürsten an der Aufrechthaltung des Princips kirch- 
licher und politischer Selbständigkeit gegen die großen katholischen Po- 
tenzen, welche die Welt beherrschten, Polen auf der einen, die spanisch- 
österreichische Macht auf der andern Seite bedingt worden. Durch den 
Gang, den die Ereignisse nahmen, war dann eine andere Gefahr 
erwachsen: sie lag in der Ueberlegenheit von Frankreich über den ge- 
sammten Continent, namentlich in seiner Verbindung mit dem im 
Norden und Osten mächtigen Schweden. 
Wir haben gesebhen, welchen Antheil Brandenburg an dem Kampfe 
gegen diese doppelte Uebermacht nahm, in immerwährendem Zusam- 
menhange mit den großen politischen Combinationen der Epoche. 
Sein Antheil an der Entfernung Schwedens aus Deutschland und 
dem Zurückdrängen der französischen Präponderanz gab ihm eine hohe 
Bedeutung in der Gesammtheit der europäischen Mächte. Aber noch 
hatte Schweden auf Pommern nicht Verzicht geleistet, noch lebte 
Carl XII, von welchem das niemals zu erwarten war. Polen be- 
fand sich nicht in dem Zustand, um sich des Vortheils, der ihm aus 
dem Zurückweichen der Schweden entsprang, zur Wiederherstellung 
seines alten Umfangs zu bedienen. Denn auch das ist wohl ein Gesetz 
der politischen Entwickelungen, daß, wenn die großen Verhältnisse und 
Antriebe, unter deren Einwirkung ein Staat zu seiner Machtstellung 
gelangte, einmal gebrochen sind, auch dessen innerer Bestand gefährdet 
ist. Es giebt immer entsprechend den Abwandlungen der vorherrschenden 
allgemeinen Tendenzen zurückweichende und vordringende, ohnmächtig
	        
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