Fluchtversuch des Kronprinzen. 117
Am 25. October 1730 ward den Versammelten das erste, am
26. das zweite Volumen der Acten vorgelesen. Hierauf schwuren sie,
auf die vorgelesenen Acten Recht zu sprechen, nach bestem Wissen und
Gewissen, gemäß den königlichen Kriegsartikeln, Rechten und Gewohn-
heiten: ohne irgend eine menschliche Rücksicht. Am 27. gaben sie nach
den verschiedenen Rangklassen ihr Urtheil ab.
Was den Prinzen anbetrifft, so waren sie Alle darüber einig,
daß es ihnen als Vasallen und Unterthanen nicht zukomme, über
Vorfälle zu richten, die in der königlichen Familie stattgefunden; es
würde sogar, sagen die Generale, gegen ihre Pflicht laufen, über
dieselben eine solche Nachforschung anzustellen, wie für ein gründ-
liches Urtheil erfordert werde. Die Capitäne bemerken noch: die vor-
gehabte Flucht sei doch nicht zu Stande gekommen; der Prinz sei
durch den scharfen Arrest schon hinreichend bestraft; die Oberstlieu-
tenants: die Entschließungen des Kronprinzen seien verschiedenartig
gewesen; in den Kriegsartikeln sei nichts enthalten, was auf diesen
Fall passe. Man sieht: die Meinung des Kronprinzen, daß sein
Vorhaben nichts mit Desertion gemein habe, behielt hier die Ober-
hand. Die Obersten fügten hinzu, die intendirte, aber nicht exequirte
Flucht sei eine Staats= und Familiensache zwischen dem großen König
und seinem Sohne. Insgesammt legten sie darauf noch besonderen
Nachdruck, daß er sich der Gnade seines Vaters und Königs so voll-
kommen unterwerfe ½).
Ich finde nicht, daß König Friedrich Wilhelm das Mindeste hie-
gegen eingewendet, oder daß er jemals im Ernst daran gedacht habe,
seinen Sohn mit dem Tode zu bestrafen 2). Wahr ist, daß Viele von
1) Seitdem ich dies im Jahre 1847 aus den Acten berichtete, sind die
Protokolle aus dem Schulenburger Archiv durch den Druck veröffentlicht wor-
den. (Donneil, Vollständige Protokolle des Köpenicker Kriegsgerichts. 1861.)
2) Die Tradition war, der Kronprinz sei von dem Kriegsgericht mit allen
Stimmen gegen zwei zum Tode verurtheilt worden (Preuß, Geschichte Fried-
richs des Großen, 1. S. 47), woran sich dann die weitere knüpft, der König
sei durch fremde Intercession, namentlich des kaiserlichen Hofes, abgehalten
worden, dieses Urtheil vollstrecken zu lassen. Wenn nun aber der Spruch des
Gerichtes von entgegengesetzter Natur ist, so fällt Alles weg, was daran ge-
kaüpft wird. Wie hätte auch der König nur daran denken können, über
seinen Sohn um eines häuslichen Haders willen, von dem ihm sein Ge-
wissen doch sagen mußte, daß auch er eine Schuld daran habe, die äußerste
aller Strafen zu verhängen. Wenn man zum Beweise dieser Absicht sein
Schreiben an den Kaiser anführt, in dem es heißt: nur aus Rücksicht auf die
kaiserliche Fürbitte habe er seinen Sohn pardonniret: so bezieht sich das nur