Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

206 Sechstes Buch. Viertes Capitel. 
Schon bei der Festsetzung des Generalconföderationseides behielten sie, 
obgleich nicht ohne mancherlei Gewaltsamkeit und Kampf, die Ober- 
hand; sie merzten jene Bedingung aus der Formel aus. Der Primas, 
Theodor Potocki, Erzbischof von Gnesen, und der französische Gesandte 
hielten die Partei zusammen. Als der Wahlreichstag Ende August 
zusammentrat, zeigte sich eine unzweifelhafte Mehrheit für Stanis- 
laus; von den Andersgesinnten wagten Einige nicht zu erscheinen: 
Andere zogen sich nach einiger Zeit zurück; bei den ersten Umfragen, 
am 11. und 12. September, war Alles entschieden. Auf dem Wahl- 
selde hatten die verschiedenen Woiwodschaften und Povjaty's (Districte) 
die ihnen angewiesenen Plätze eingenommen:; dann setzte sich der 
Primas des Reiches in Bewegung, mit einem Geleit von 500 Mann 
zu Pferde; zuerst zu den Großpolen: sie riefen alle: es lebe Stanis- 
laus; so die übrigen: von allen Povjath's haben nur zwei von 
Sendomir ihn ausgeschlossen; ein einziger Edelmann hat den Kur- 
fürsten von Sachsen genannt, doch nicht, ohne sich dadurch tumul- 
tuarische Mißhandlungen zuzuziehen. Man hat dem Primas nach 
der Hand vorgeworfen, daß die widerstrebenden Stimmen durch die 
Vivats seiner Begleiter übertäubt worden seien; doch ist kein Zweifel, 
auf dem Wahlfelde herrschte eine beinahe einmüthige Stimmung: 
endlich schwieg auch der letzte Widerspruch eines Volhyniers; mit all- 
gemeinem Beifall ward Stanislaus begrüßt, der selbst, verkleidet und 
insgeheim mitten durch die deutschen und die preußischen Länder herbei- 
gekommen war; er wurde unter den gewöhnlichen Ceremonien zum 
König ausgerufen. 
Die Polen sahen in dem Rechte einer freien Königswahl eine 
Prärogative, die sie vor allen Nationen der Welt auszeichne. In 
der Rede, mit welcher der Convocationsmarschall Massalski die Ver- 
sammlung auf dem Wahlfelde eröffnete, wird ihr Glück gepriesen, 
indem Gott in ihnen das Andenken der Freiheit erhalte, die er den 
Menschen von Anfang an gegeben habe: — bei andern, Völkern könne 
es geschehen, daß ein Erbherr, dem die Hände noch mit dem Wiegen- 
bande gebunden, als Gesetzgeber erscheine, die Unterwerfung der Polen 
stamme aus ihrem freien Willen. Bei solcher Gesinnung hätten sie 
nun entweder allem fremden Einfluß widerstreben oder wenn sie gar 
Annäherung an eine auswärtige Macht rathsam fanden, diese dann 
mit aller Anstrengung gegen europäische Widersacher aufrecht erhalten 
müssen. Es flößt ein moralisches Mitleiden ein, wenn man sieht, 
wie die Polen bei alle diesem Selbstgefühl sich doch zu keiner Hand- 
lung wahrer Selbständigkeit erheben, sich durch fremden, mit Geld,
	        
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