Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

208 Sechstes Buch. Viertes Capitel. 
Wir berührten schon, daß Ludwig XV hatte erklären lassen, die Aus- 
schließung seines Schwiegervaters werde er als eine Kriegsankündigung 
desjenigen Hofes betrachten, der sie ausspreche. 
Einander gegenüber erscheinen diese beiden Drohungen, Rußlands 
die Wahl des Stanislaus, Frankreichs die Ausschließung desselben als 
eine Kriegserklärung betrachten zu wollen; doch ist zwischen ihren 
Drohungen ein großer Unterschied. Rußland richtete die seine gegen 
die polnische Nation, insofern sie für Stanislaus sei; Frankreich die 
seine nicht etwa gegen die Polen, welche gegen ihn waren; seine vor- 
nehmsten Absichten gingen gegen die Höfe selbst, besonders gegen 
Oesterreich. 
Wir wissen, mit welcher Eifersucht man in Versailles den Fort- 
ang der österreichischen Erbfolgesache beobachtete; sie verdoppelte sich, 
wenn man in Betracht zog, daß der Herzog von Lothringen zum Ge- 
mahl der Erbin von Oesterreich und zugleich zum römischen König 
bestimmt war, daß hiedurch sein Land in den großen Complex der 
kaiserlichen Gebiete gezogen werden sollte. Wie oft ward die Friedens- 
liebe des Cardinal Fleury angeklagt, daß er es versäume, sich der 
Vollziehung eines solchen Ereignisses entgegenzusetzen: bald werde 
Lothringen ein furchtbares militärisches Bollwerk gegen Frankreich 
bilden. Marschall Villars, der noch in den Erinnerungen des Zeit- 
alters Ludwigs XIV lebte, hat einst im versammelten geheimen Rath 
den Cardinal gefragt, ob dies Vorhaben nicht ebenso gefährlich für 
Frankreich sei, wie einst die Ligue von Augsburg, und da dies ein- 
leuchte, ob man nicht ebenso gut zu den Waffen greifen müsse wie 
damals; — Ludwig XV habe keinen Verbündeten gehabt, jetzt habe 
man deren. 
So friedfertig Cardinal Fleury auch erschien, so setzten sich doch 
in ihm, — es wird uns noch oft entgegengetreten —, die alten 
Grundsätze der französischen Politik fort, die auf ein allgemeines 
Uebergewicht gerichtet waren; nur daß er weniger lärmend und un- 
geduldig als seine Vorgänger, mehr im Stillen vorbereitend zu Werke 
ging. Eben erst der Verbündeten suchte er sich jetzt zu versichern. 
Pfalz und Baiern hatte er schon lange, unter andern auch durch 
das Versprechen, das erste in der Bergischen Sache zu unterstützen, 
Lan sich gefesselt. Es gelang ihm, den König von Sardinien, in dessen 
Nathe einige von dem Wiener Hofe beleidigte Minister das Wort 
führten, zu gewinnen. Hauptsächlich ward jede Irrung beseitigt, die 
noch mit Spanien obwalten konnte; es ward ein Vertrag verhandelt 
und nach kurzer Zeit zu Stande gebracht, in welchem sich die beiden
	        
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