208 Sechstes Buch. Viertes Capitel.
Wir berührten schon, daß Ludwig XV hatte erklären lassen, die Aus-
schließung seines Schwiegervaters werde er als eine Kriegsankündigung
desjenigen Hofes betrachten, der sie ausspreche.
Einander gegenüber erscheinen diese beiden Drohungen, Rußlands
die Wahl des Stanislaus, Frankreichs die Ausschließung desselben als
eine Kriegserklärung betrachten zu wollen; doch ist zwischen ihren
Drohungen ein großer Unterschied. Rußland richtete die seine gegen
die polnische Nation, insofern sie für Stanislaus sei; Frankreich die
seine nicht etwa gegen die Polen, welche gegen ihn waren; seine vor-
nehmsten Absichten gingen gegen die Höfe selbst, besonders gegen
Oesterreich.
Wir wissen, mit welcher Eifersucht man in Versailles den Fort-
ang der österreichischen Erbfolgesache beobachtete; sie verdoppelte sich,
wenn man in Betracht zog, daß der Herzog von Lothringen zum Ge-
mahl der Erbin von Oesterreich und zugleich zum römischen König
bestimmt war, daß hiedurch sein Land in den großen Complex der
kaiserlichen Gebiete gezogen werden sollte. Wie oft ward die Friedens-
liebe des Cardinal Fleury angeklagt, daß er es versäume, sich der
Vollziehung eines solchen Ereignisses entgegenzusetzen: bald werde
Lothringen ein furchtbares militärisches Bollwerk gegen Frankreich
bilden. Marschall Villars, der noch in den Erinnerungen des Zeit-
alters Ludwigs XIV lebte, hat einst im versammelten geheimen Rath
den Cardinal gefragt, ob dies Vorhaben nicht ebenso gefährlich für
Frankreich sei, wie einst die Ligue von Augsburg, und da dies ein-
leuchte, ob man nicht ebenso gut zu den Waffen greifen müsse wie
damals; — Ludwig XV habe keinen Verbündeten gehabt, jetzt habe
man deren.
So friedfertig Cardinal Fleury auch erschien, so setzten sich doch
in ihm, — es wird uns noch oft entgegengetreten —, die alten
Grundsätze der französischen Politik fort, die auf ein allgemeines
Uebergewicht gerichtet waren; nur daß er weniger lärmend und un-
geduldig als seine Vorgänger, mehr im Stillen vorbereitend zu Werke
ging. Eben erst der Verbündeten suchte er sich jetzt zu versichern.
Pfalz und Baiern hatte er schon lange, unter andern auch durch
das Versprechen, das erste in der Bergischen Sache zu unterstützen,
Lan sich gefesselt. Es gelang ihm, den König von Sardinien, in dessen
Nathe einige von dem Wiener Hofe beleidigte Minister das Wort
führten, zu gewinnen. Hauptsächlich ward jede Irrung beseitigt, die
noch mit Spanien obwalten konnte; es ward ein Vertrag verhandelt
und nach kurzer Zeit zu Stande gebracht, in welchem sich die beiden