Friedrich Wilhelm I. und die Politik von 1715—22. 17
Herrschaft der Russen in Mecklenburg, die Erneuerung des Krieges
zwischen Stanislaus und August, wünschen können oder gar die
Wiederherstellung des schwedischen Uebergewichts im Norden. Wäre
je die schwedisch-russische Allianz zu Stande gekommen, so hätte ihr
Friedrich Wilhelm I nicht beitreten können, da sie gegen England
gerichtet war. Seine Instruction an seine Gesandten lautete dahin:
unter keinen Umständen auf einen Krieg gegen Großbritannien ein-
zugehen. Noch weniger konnte er dem englischen Interesse accediren,
das damals mit dem hannoverschen verbunden war; er fürchtete, Han-
nover wolle sich selbst in den Besitz von Mecklenburg setzen.
Man nimmt noch einmal eine Analogie mit der Stellung Georg
Wilhelms wahr, der im Kampfe der einander entgegengesetzten Welt-
mächte die Zertrümmerung seines Staates befürchten mußte. Nur
war der Kreis der Bewegung durch die Theilnahme Rußlands und
die Verbindung Englands mit Hannover unendlich erweitert. Wenn
es nun das Verdienst des großen Kurfürsten war, den getrennten
Provinzen ein Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit und eines ge-
meinschaftlichen Interesses gegeben, und das Verdienst Friedrich I einen
nicht zu unterschätzenden Antheil auf die allgemeinen Verhältnisse ge-
sichert zu haben: so war damit doch nicht Alles geschehen. Das von
Friedrich I erworbene Königthum genügte noch nicht, da die Streitkräfte
des Staates nicht ohne fremden Einfluß aufgebracht und verwendet wer-
den konnten: er erwartete, wie wir wissen, das Meiste von dem Siege
der Partei, der er sich in den allgemeinen Zerwürfnissen angeschlossen
hatte. Das Bestreben Friedrich Wilhelm I ging nun dahin, nicht
allein stark genug zu sein, um nicht gleich im ersten Augenblick über
den Haufen geworfen zu werden; sondern es kam ihm darauf an,
inmitten der europäischen Conflicte seine Anliegen nach eigenem Er-
messen zur Geltung zu bringen. Brandenburg war ein Staat, wenn-
gleich noch nicht ein vollendeter; um sich als Staat zu behaupten,
mußte es zugleich eine europäische Macht werden. Die Nachbarn
mußten nicht allein Bedenken tragen, Preußen-Brandenburg zu ver-
letzen, nicht allein den Wunsch haben, es seiner geographischen Position
wegen zu sich herüberzuziehen; sie mußten dessen eigene Interessen
respectiren. Die Fundamente einer unantastbaren Selbständigkeit
mußten gelegt werden, die ihres eigenen Bestehens sicher, ihrer
Situation gemäß in die großen Angelegenheiten einzugreifen vermochte.
In diesen Verhältnissen liegt der Ursprung der spätern preußischen
Kriegsmacht. Es war nicht eine Sache der Willkür, sondern eine Noth-
wendigkeit, wenn Friedrich Wilhelm mit einer Anstrengung. die allem
v. Rante's Werte XXVII. XxXvill.