Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

226 Sechstes Buch. Fünftes Copitel. 
Selbständigkeit zu gewinnen, und dafür war nun, wie berührt, auch 
England.“ Es war das Gefühl der Nation, das Walpole nicht ver- 
letzen durfte, wenn er sich behaupten wollte. 
Niemals konnten die Engländer eine Combination zugeben, welche 
die Bestimmungen der Wiener Verträge von 1725, gegen die sie so 
stürmisch angegangen waren, zur Ausführung gebracht haben würde. 
Dazu konnte auch Cardinal Fleury, der mit dem englischen Ministerium 
enge verbunden war, die Hand nicht bieten. Bei ihm spielten viel- 
mehr die eigenthümlichen Interessen von Frankreich eine große Rolle. 
Er sah in dem Gelingen seines Kriegsunternehmens den Anlaß zu 
einer Erwerbung für Frankreich, nach der die früheren Minister 
und Könige vergebens getrachtet hatten. Jener Austausch des Her- 
zogthums Lothringen mit einer italienischen Landschaft, von der bei 
den Theilungstractaten die Rede gewesen war, konnte jetzt bei dem 
Uebergewicht der französischen Waffen zu Stande gebracht werden. 
In tiefem Geheimniß hatte er bereits Friedenseröffnungen in Wien 
gemacht, die darauf hinzielten. Die Vorschläge des Prinzen Eugen 
wurden dadurch an und für sich unausführbar. Da aber der Grund 
derselben doch eine Verständigung mit Frankreich ausmachte: so mögen 
sie dahin geführt haben, daß man an dem Wiener Hofe auf eine 
solche einging, nur unter ganz anderen Modalitäten. Lothringen sollte, 
wenn nicht sogleich, doch später, an Frankreich fallen; zunächst auf 
seine Lebenszeit sollte es Stanislaus Leszczynski erhalten und dafür 
auf den polnischen Thron Verzicht leisten. Die Voraussetzung war, 
daß der Herzog mit Maria Theresia vermählt und diese als Nach- 
folgerin ihres Vaters in den nicht abgetretenen Landen anerkannt 
werden sollte. Auf dieser Grundlage wurden die Friedensprälimi- 
narien geschlossen. 
Die Kriegshandlungen, die im Spätsommer 1735 vorfielen, 
sollten nur dazu dienen, die Mächte, die nicht in das Geheimniß ge- 
zogen waren, auch keine Ahnung davon fassen zu lassen. Man ist 
darin doch über alle Begriffe weit gegangen. Noch am 20. October 
schlug Graf Seckendorf auf einem damals vielbelobten Zuge gegen die 
Mosel mit den Franzosen: schon am 3. October waren die Friedens- 
präliminarien zwischen Oesterreich und Frankreich auf die von Fleury 
vorgeschlagenen Grundlagen abgeschlossen worden. 
Wie sehr mußte sich der König von Preußen betroffen fühlen, als 
er davon hörte! Eben die beiden Dinge, die er vermeiden wollte, Ab- 
tretung von Lothringen und Anerkennung des Kurfürsten von Sachsen 
König in Polen, waren darin festgesetzt. Wir werden sogleich auf
	        
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