Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Spätere Jugendjahre Friedrichs II. 263 
Macht, da in der Beschäftigung mit derselben das vornehmste Bildungs- 
mittel der Geister lag. 6 
Eine große Bedeutung bekam da an sich ein Autor, der die 
Sprache, die alle lernten und zu schreiben versuchten, als ein Virtuose 
behandelte. Eben das Anmuthende, Einladende, Verführerische des 
französischen Ausdrucks besaß Voltaire in großer Vollkommenheit; in 
Witz und Leichtigkeit, bündiger Schlußfolge, die sich doch wie absichts- 
lose Unterhaltung ausnimmt, in Mannickfaltigkeit der Formen ist er 
unvergleichlich. Man kann sagen, daß er beiden Seiten der fran- 
zösischen Literatur angehörte, zuerst der einen, dann der andern: er 
war der Nachfolger zugleich von Racine und Corneille, von St. Evre- 
mond und Bayle; den Franzosen erschien er schon nicht mehr ganz 
als einer der Ihren, dem übrigen Europa aber als der vollkommenste 
der Franzosen. 
Es war schon etwas, daß dieser Autor, durch einen natürlichen 
Zug seines Geistes geführt, und durch widrige Begegnisse gereizt, sich 
zur Lebensaufgabe machte, den falschen Religionseifer zu bekämpfen: 
wie er oft gesagt hat, die Inquisition in Spanien, und die Gewalt- 
samkeiten, die Carl 1 aufs Schaffot gebracht haben; die Bulle in 
Coena domini und die Wuth der Ligue )). Allein der bloße Gegen- 
satz hätte ihm noch nicht tief genug gewirkt, die Leser nicht befriedigt. 
Es lag gleichsam eine Fügung darin, daß er nun auch, indem er die 
lockesschen Ansichten ergriff, die mit der Nichtung seines Geistes eine 
natürliche Verwandtschaft hatten, und die er als die einzigen be- 
trachtete, die vor der gesunden Vernunft bestehen können, in den Besitz 
einer einigermaßen haltbaren zusammenhängenden wohlausgearbeiteten 
Doctrin gelangte. 
Auf seinem Standpunkt Alles zu beurtheilen sich vermessend, setzte 
er Locke höher als Plato. 
Selbst der Mangel seines Talentes, das vor allem Abstracten 
und Nichtbegreiflichen zurückschrak, vermehrte seine Wirkung. Er hat 
die locke'schen Lehren nicht weiter gebildet, nicht ein einziges neues 
Argument hat er erfunden, aber er hat sie populär gemacht. Was 
giebt es Anziehenderes als neue Lehren, welche die Welt endlich zu 
erklären scheinen? Sie sind es doppelt, wenn sie dem natürlichen 
Sinne des Menschen entsprechen. Man hörte und las hier, was 
man zu hören verlangte, was man halbwegs schon von selbst gedacht. 
1) Siècle de Louis XIV. Questions sur I’encyclopédie. Art. Philo- 
s opbie sect. IV.
	        
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