Spätere Jugendjahre Friedrichs II. 263
Macht, da in der Beschäftigung mit derselben das vornehmste Bildungs-
mittel der Geister lag. 6
Eine große Bedeutung bekam da an sich ein Autor, der die
Sprache, die alle lernten und zu schreiben versuchten, als ein Virtuose
behandelte. Eben das Anmuthende, Einladende, Verführerische des
französischen Ausdrucks besaß Voltaire in großer Vollkommenheit; in
Witz und Leichtigkeit, bündiger Schlußfolge, die sich doch wie absichts-
lose Unterhaltung ausnimmt, in Mannickfaltigkeit der Formen ist er
unvergleichlich. Man kann sagen, daß er beiden Seiten der fran-
zösischen Literatur angehörte, zuerst der einen, dann der andern: er
war der Nachfolger zugleich von Racine und Corneille, von St. Evre-
mond und Bayle; den Franzosen erschien er schon nicht mehr ganz
als einer der Ihren, dem übrigen Europa aber als der vollkommenste
der Franzosen.
Es war schon etwas, daß dieser Autor, durch einen natürlichen
Zug seines Geistes geführt, und durch widrige Begegnisse gereizt, sich
zur Lebensaufgabe machte, den falschen Religionseifer zu bekämpfen:
wie er oft gesagt hat, die Inquisition in Spanien, und die Gewalt-
samkeiten, die Carl 1 aufs Schaffot gebracht haben; die Bulle in
Coena domini und die Wuth der Ligue )). Allein der bloße Gegen-
satz hätte ihm noch nicht tief genug gewirkt, die Leser nicht befriedigt.
Es lag gleichsam eine Fügung darin, daß er nun auch, indem er die
lockesschen Ansichten ergriff, die mit der Nichtung seines Geistes eine
natürliche Verwandtschaft hatten, und die er als die einzigen be-
trachtete, die vor der gesunden Vernunft bestehen können, in den Besitz
einer einigermaßen haltbaren zusammenhängenden wohlausgearbeiteten
Doctrin gelangte.
Auf seinem Standpunkt Alles zu beurtheilen sich vermessend, setzte
er Locke höher als Plato.
Selbst der Mangel seines Talentes, das vor allem Abstracten
und Nichtbegreiflichen zurückschrak, vermehrte seine Wirkung. Er hat
die locke'schen Lehren nicht weiter gebildet, nicht ein einziges neues
Argument hat er erfunden, aber er hat sie populär gemacht. Was
giebt es Anziehenderes als neue Lehren, welche die Welt endlich zu
erklären scheinen? Sie sind es doppelt, wenn sie dem natürlichen
Sinne des Menschen entsprechen. Man hörte und las hier, was
man zu hören verlangte, was man halbwegs schon von selbst gedacht.
1) Siècle de Louis XIV. Questions sur I’encyclopédie. Art. Philo-
s opbie sect. IV.