366 Achtes Buch. Erstes Capitel.
Niederrhein, damals die einzigen, die er machte, nimmermehr be-
willigen werde.
So setzte England nun auch Alles daran, den Wiener Hof zu
gewinnen. Auch die älteren Minister, die den Gedanken der Er-
neuerung der alten großen Allianz mit Freuden begrüßten, wandten
doch ein, daß in dem jetzigen Zustand der Hülflosigkeit eine Ent-
zweiung mit Frankreich die verderblichsten Folgen haben könne, denn
auf keiner Seite sei Oesterreich gerüstet; es werde weder Italien noch
die Niederlande gegen die Franzosen vertheidigen können, ja die ganze
Rheingrenze werde man aufgeben müssen. Der englische Gesandte
suchte ihre Besorgnisse zu beschwichtigen, und ließ es an Zusagen
und Aufforderungen nicht fehlen. Erinnern wir uns einer Scene
aus den letzten Augenblicken Carls VI. Der Kaiser hatte die Sacra-
mente empfangen, und seine Minister traten aus dem Sterbezimmer,
den Hofkanzler an ihrer Spitze, als der englische Gesandte sich diesem
näherte, ihm mit geheimnißvollem Eifer eine Depesche einhändigte,
und deren Inhalt, indem er die Gallerie entlang neben ihm daher-
schritt, dahin erläuterte, daß das Haus Oesterreich nicht verloren sei,
noch auch die europäische Ordnung der Dinge, wofern sie nur Männer
sein wollten. ·
Noch andere Gefahren traten damals in den Gesichtskreis.
Die kaiserlichen Minister waren, wie gedacht, von den düstersten
Ahnungen über die Zukunft ihres Hauses erfüllt. Gleich im ersten
Augenblicke berührte die französisch-englische Irrung sich mit den
Fragen, welche diese betrafen. Nach welcher Seite jedoch die Ent-
scheidung fallen würde, war bei der Verwickelung der Geschäfte und
dem Zustand des Hofes in sich selbst sehr zweifelhaft.
Inneres und äußeres Verhältniß des Wiener Hofes-.
Es erweist sich häufig als ein Irrthum, wenn man in den
Monarchieen die Einheit des Willens voraussetzt, die der Begriff
dieser Staatsverfassung in sich schließt; namentlich auch an dem
Wiener Hofe hat es in der Regel entgegengesetzte Richtungen und
zuweilen sogar in den höchsten Kreisen verschiedene Factionen ge-
geben.
Wie oft hat schon Prinz Eugen über die jesuitischen Rathschläge
zu klagen gehabt, oder über die falschen Vorstellungen, mit denen der
Kaiser von liebedienerischen Hofleuten erfüllt werde. Nach Eugens