Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

366 Achtes Buch. Erstes Capitel. 
Niederrhein, damals die einzigen, die er machte, nimmermehr be- 
willigen werde. 
So setzte England nun auch Alles daran, den Wiener Hof zu 
gewinnen. Auch die älteren Minister, die den Gedanken der Er- 
neuerung der alten großen Allianz mit Freuden begrüßten, wandten 
doch ein, daß in dem jetzigen Zustand der Hülflosigkeit eine Ent- 
zweiung mit Frankreich die verderblichsten Folgen haben könne, denn 
auf keiner Seite sei Oesterreich gerüstet; es werde weder Italien noch 
die Niederlande gegen die Franzosen vertheidigen können, ja die ganze 
Rheingrenze werde man aufgeben müssen. Der englische Gesandte 
suchte ihre Besorgnisse zu beschwichtigen, und ließ es an Zusagen 
und Aufforderungen nicht fehlen. Erinnern wir uns einer Scene 
aus den letzten Augenblicken Carls VI. Der Kaiser hatte die Sacra- 
mente empfangen, und seine Minister traten aus dem Sterbezimmer, 
den Hofkanzler an ihrer Spitze, als der englische Gesandte sich diesem 
näherte, ihm mit geheimnißvollem Eifer eine Depesche einhändigte, 
und deren Inhalt, indem er die Gallerie entlang neben ihm daher- 
schritt, dahin erläuterte, daß das Haus Oesterreich nicht verloren sei, 
noch auch die europäische Ordnung der Dinge, wofern sie nur Männer 
sein wollten. · 
Noch andere Gefahren traten damals in den Gesichtskreis. 
Die kaiserlichen Minister waren, wie gedacht, von den düstersten 
Ahnungen über die Zukunft ihres Hauses erfüllt. Gleich im ersten 
Augenblicke berührte die französisch-englische Irrung sich mit den 
Fragen, welche diese betrafen. Nach welcher Seite jedoch die Ent- 
scheidung fallen würde, war bei der Verwickelung der Geschäfte und 
dem Zustand des Hofes in sich selbst sehr zweifelhaft. 
Inneres und äußeres Verhältniß des Wiener Hofes-. 
Es erweist sich häufig als ein Irrthum, wenn man in den 
Monarchieen die Einheit des Willens voraussetzt, die der Begriff 
dieser Staatsverfassung in sich schließt; namentlich auch an dem 
Wiener Hofe hat es in der Regel entgegengesetzte Richtungen und 
zuweilen sogar in den höchsten Kreisen verschiedene Factionen ge- 
geben. 
Wie oft hat schon Prinz Eugen über die jesuitischen Rathschläge 
zu klagen gehabt, oder über die falschen Vorstellungen, mit denen der 
Kaiser von liebedienerischen Hofleuten erfüllt werde. Nach Eugens
	        
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