Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Inneres und äußeres Verhältniß des Wiener Hofes. 367 
Tode hatte Carl VI auf die, welche sich als die Nachfolger desselben 
betrachteten, vollends keine Rücksicht genommen: Wider die Meinung 
der alten Minister fing er Krieg an und schloß er Allianzen. Eben 
in die vornehmste, die französische, welche seine letzten Jahre beherrschte, 
verwickelte er sich immer tiefer, nur von einem jüngeren, eben empor- 
gekommenen Staatsmanne, der auf seine Ideen einging, unterstützt. 
Bei dem Tode Carls VI erwartete man nun eine Veränderung 
seines Systems um so mehr, da der Gemahl der Nachfolgerin, der 
Großherzog von Toskana, sich von jeher zu den älteren Ministern 
gehalten hatte. 
Wären diese nur kräftige Männer und selber einig untereinander 
gewesen. 
Der vornehmste von ihnen war der oberste Hofkanzler, Graf 
Sinzendorf, der unter Leopold 1 in Dienst getreten und seitdem immer 
in den wichtigsten Geschäften wirksam gewesen war. Er hatte in der 
Jugend die Ansicht gefaßt, daß die Autorität in Oesterreich nach dem 
Muster Ludwigs XIV mehr contralisirt werden müßte; den commer= 
ciellen Ideen Carls VI hat er sich immer angeschlossen und sie nach 
Kräften gefördert: er stand in Beziehung zu den Spaniern, die 
dessen Gunst besaßen. Er war überhaupt nicht ohne umfassende An- 
schauungen. Aber in der Hofkanzlei häuften sich zu viel Geschäfte 
an, als daß er ihrer hätte Meister werden können: Alles ging lang- 
sam; ihm selbst gab man Bestechlichkeit Schuld 1). Nachdem er alt 
geworden, manche Zurücksetzung erfahren, dann und wann den Zufall 
herrschen gesehen hatte, schien es denen, die mit ihm in Berührung 
kamen, als glaube er nicht mehr recht an den Ernst des Lebens und 
die Nothwendigkeit der Anstrengung in den großen Angelegenheiten: 
man warf ihm vor, daß er die Dinge obenhin behandle, Freidenker 
sei und einer Genußsucht fröhne, die sich als Geist geberde, nur für 
seine Gesundheit trage er eine beinahe abergläubische Sorge. Bei 
alledem gaben ihm seine Erfahrung und seine Umsicht, sein Alter 
selbst doch ein großes Gewicht; er erschien in der Welt als ein 
großer Minister. 
Sein nächster Amtsgenosse, Graf Gundacker von Starhemberg, 
nahm es mit den eigentlichen Geschäften bei weitem ernster: bei der 
Leitung der Bank, die ihm oblag, setzte er sich den Anforderungen 
1) Bei Arneth, Maria Theresia I, S. 66, sieht man, wie unumwunden 
er am lothringischen Hose darauf antrug, in baarem Gelde oder in Gütern 
belohnt zu werden.
	        
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