Inneres und äußeres Verhältniß des Wiener Hofes. 367
Tode hatte Carl VI auf die, welche sich als die Nachfolger desselben
betrachteten, vollends keine Rücksicht genommen: Wider die Meinung
der alten Minister fing er Krieg an und schloß er Allianzen. Eben
in die vornehmste, die französische, welche seine letzten Jahre beherrschte,
verwickelte er sich immer tiefer, nur von einem jüngeren, eben empor-
gekommenen Staatsmanne, der auf seine Ideen einging, unterstützt.
Bei dem Tode Carls VI erwartete man nun eine Veränderung
seines Systems um so mehr, da der Gemahl der Nachfolgerin, der
Großherzog von Toskana, sich von jeher zu den älteren Ministern
gehalten hatte.
Wären diese nur kräftige Männer und selber einig untereinander
gewesen.
Der vornehmste von ihnen war der oberste Hofkanzler, Graf
Sinzendorf, der unter Leopold 1 in Dienst getreten und seitdem immer
in den wichtigsten Geschäften wirksam gewesen war. Er hatte in der
Jugend die Ansicht gefaßt, daß die Autorität in Oesterreich nach dem
Muster Ludwigs XIV mehr contralisirt werden müßte; den commer=
ciellen Ideen Carls VI hat er sich immer angeschlossen und sie nach
Kräften gefördert: er stand in Beziehung zu den Spaniern, die
dessen Gunst besaßen. Er war überhaupt nicht ohne umfassende An-
schauungen. Aber in der Hofkanzlei häuften sich zu viel Geschäfte
an, als daß er ihrer hätte Meister werden können: Alles ging lang-
sam; ihm selbst gab man Bestechlichkeit Schuld 1). Nachdem er alt
geworden, manche Zurücksetzung erfahren, dann und wann den Zufall
herrschen gesehen hatte, schien es denen, die mit ihm in Berührung
kamen, als glaube er nicht mehr recht an den Ernst des Lebens und
die Nothwendigkeit der Anstrengung in den großen Angelegenheiten:
man warf ihm vor, daß er die Dinge obenhin behandle, Freidenker
sei und einer Genußsucht fröhne, die sich als Geist geberde, nur für
seine Gesundheit trage er eine beinahe abergläubische Sorge. Bei
alledem gaben ihm seine Erfahrung und seine Umsicht, sein Alter
selbst doch ein großes Gewicht; er erschien in der Welt als ein
großer Minister.
Sein nächster Amtsgenosse, Graf Gundacker von Starhemberg,
nahm es mit den eigentlichen Geschäften bei weitem ernster: bei der
Leitung der Bank, die ihm oblag, setzte er sich den Anforderungen
1) Bei Arneth, Maria Theresia I, S. 66, sieht man, wie unumwunden
er am lothringischen Hose darauf antrug, in baarem Gelde oder in Gütern
belohnt zu werden.