Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

370 Achtes Buch. Erstes Capitel. 
der führe das Ruder. Bei dem alten Antagonismus zwischen ihnen, 
der in alle Kreise zurückwirkte und durch den herbeigekommenen Kanzler 
Kinsky von Böhmen noch vermehrt wurde, gerieth sie gleichsam wie 
in ein Labyrinth von Unschlüssigkeit, Mißtrauen in sich selbst und 
Andem, verlegener Zaghaftigkeit, als sie von ihrem Oberhofmeister 
und Starhemberg selbst auf jenen Rathgeber ihres Vaters aufmerksam 
gemacht wurde, der auf diesen entscheidenden Einfluß gehabt hatte: 
Johann Christoph von Bartenstein. 
Mitten unter den Abkömmlingen der vornehmsten Geschlechter 
hatte sich dieser Fremde und geborene Protestant, Sohn eines wenig 
genannten Professors in Strasburg, in die bedeutendste Stellung und 
Wirksamkeit emporgeschwungen. Er gehörte zu den früh entwickelten 
Talenten, wie man an seiner Doctordissertation sieht 1), die er, erst 
achtzehn Jahre alt, im Jahre 1709 herausgab, und der sein Lehrer 
Bökler nicht mit Unrecht mannichfaltige Kenntniß, reifes Urtheil, 
Verstand und Feuer nachrühmt. Er besaß damals schon die ganze 
Methodik juridisch-politischer und historischer Deductionen, durch die 
er am Hofe von Wien, wohin er zufällig gerieth, und wo er kein 
Bedenken trug, die Religion zu ändern, sein Glück machte. Denn 
nirgends bedurfte man eines solchen Talentes mehr als dort, wo so 
unzählige bestrittene Ansprüche der Macht als Rechte zu erhärten 
waren. Bartenstein verband eine gute Kunde der Reichssatzungen 
mit der noch neuen Wissenschaft des Natur= und Völkerrechtes, und 
zeigte ebenso viel dialectische Schärfe als Entschiedenheit der Ansicht, 
oder wenn wir hier davon reden können, der Gesinnung. Doch war 
er nicht ein bloßer Publicist. Die Stelle eines Staatssecretärs, zu 
der er erst in Vertretung eines Andern gelangte und die ihm Niemand 
weiter streitig machte, gab ihm eine unmittelbare Beziehung zu dem 
Kaiser; denn mit den Mitgliedern der Conferenz verhandelte der 
Kaiser nur schriftlich. Bei dem ersten Vortrag, den Bartenstein ihm 
hielt, gewann er die ganze Gunst desselben. In seinem Amte, wo 
er an sich nur die Protocolle der Conferenzen niederzuschreiben gehabt 
hätte, erwarb er sich doch bald einen wesentlichen und durch die gute 
Meinung des Kaisers beförderten Einfluß auf die Geschäfte selbst. 
Was den Anderen fehlte, Energie und Selbstvertrauen, davon wohnte 
1) Dissertatio de bello imperatori Carolo a. Mauritio electore ällato. 
Die Vorrede lobt „maturum et nil jurenile spirans judicium, igneam 
mentis vim, — pracchram non in humanioribus modo literis sed in pru- 
dentia quoque juris publici imprimis Cermanici ut et naturac et gemium 
cruditionem etc.“
	        
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