Inneres und äußeres Verhältniß des Wiener Hofes. 371
ihm ein fast zu großes Maß bei. Der Herr, sagte man ihm einst,
führt den Hof tief hinein; Bartenstein antwortete: ich werde auch
wissen ihn wieder herauszuführen. Gegen Ende Carls VI genoß er
ein Ansehen, das seinem Einfluß entsprach. Wenn er des Abends
bei seinem Billard sichtbar wurde, drängte sich Alles um ihn, die
fremden Gesandten und der junge einheimische Adel.
Bei dem Thronwechsel nun, — denn am großherzoglichen Hofe
hatte man ihm immer Ungunst bewiesen —, fürchtete Bartenstein
den Verlust seines Ansehens. In einer der ersten seiner Audienzen
bei der neuen Königin senkte er ein Knie vor ihr und bot ihr seine
Abdankung an. Sie war, wie sie selbst sagt, voreingenommen gegen
ihn; aber sie fühlte jetzt, daß dieser Mann allein ihr zum Werkzeug
dienen könne, um sich keinen fremden Willen aufdringen zu lassen.
Sie erwiederte ihi, das sei nicht die Zeit, wo er abdanken dürfe:
er möge fortfahren, so viel Gutes zu thun, als er vermöge: Böses
zu thun, dieses herben Wortes hat sie nach ihrer eigenen Erzählung
sich bedient, werde sie ihn schon zu verhindern wissen. Sie sah dar-
über hinweg, daß er wenig Welt besitze, und ihr selbst im Cabinet
oder im versammelten Rathe beleidigende Dinge sagte; sie bemerkte
nur, daß er trefflich unterrichtet, im höchsten Grade arbeitsam war,
unbestechlich, zuverlässig 7).
Dabei also blieb es auch unter der jungen Königin, daß sich
am Hofe und in der Conferenz zwei verschiedene Parteien oder viel-
mehr Richtungen der Meinung erhielten.
Die Parteien in Deutschland pflegen sich nicht allein darin zu
unterscheiden, was sie zuletzt wollen, sondern auch in der Ansicht der
Dinge und der Persönlichkeiten, mit denen sie in Berührung kommen:
theoretische Hartnäckigkeit nährt ihren Eifer. Maria Theresia ur-
theilte, daß die Differenzen ihrer Minister von der Ambition eines
jeden, seine Meinung durchzusetzen, herrühren. Bartenstein gewann
ihre Gnade zunächst dadurch, daß er den Ausbruch offenen Streites
nicht allein zwischen ihnen, sondern auch mit ihr selbst verhinderte,
so daß sie nicht genöthigt wurde, zu gewaltsamen Maßregeln zu
schreiten, die ihr sehr schwer geworden sein würden. Sie sah in ihm
ihren vornehmsten Rathgeber, einen ausgezeichneten Staatsmann, und
er wußte dann die Meinung, die sie im Einverständniß mit ihm gefaßt
1) C'étoit un robin: he spoke as he vrote he bad offended her
with his unsmooth discourses in the cabinet and in the council. So
drlickt sich Maria Theresia im Juli 1743 gegen den englischen Gesandten
über ihn aus.
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