Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Präliminarien zu Breslau. 539 
wickelung der Ereignisse die Besorgniß hat, durch den Lauf des Glückes 
zu weit fortgerissen zu werden, und mit Bewußtsein inne hält, daß 
er Mittel verwirft, die ihm die größten Aussichten darbieten, z. B. 
in dem Staate der Feinde innere Unruhen anzufachen oder ein Ge- 
heimniß, das im Moment eines wahren Vertrauens unwillkürlich ihm 
zu Kunde gekommen, als Hebel seiner Politik zu brauchen. Die Lei- 
denschaft der Eroberung will er nicht in sich aufkommen lassen, noch 
die Grundlagen der gebildeten Welt verletzen, noch wider sein mora- 
lisches Gefühl handeln. Und wäre es wohl möglich gewesen, über die 
in sich selbst unentschiedenen Dinge im voraus feste Beschlüsse zu 
fassen? In dem politischen Gefechte, in dem er unaufhörlich begriffen 
ist, führt auch er die Waffen, deren sich die Andern bedienen; wenn 
man ihn reden hört, muß man immer wissen, mit wem, wozu er 
redet. Sein Thun und Lassen wird von einem starken Gefühl des 
Moments beherrscht, wo ihm, den Feindseligkeiten, die er zu bestehen 
hat, gegenüber, aller Vortheil von der andern Seite entgegentritt, und 
ihn lebendig ergreift. Er hat sich wirklich dem Unternehmen der Fran- 
zosen, die Erbfolgefrage zu Gunsten des Hauses Wittelsbach zu ent- 
scheiden, angeschlossen, bis ihm aus der einseitigen Politik, die sic ver- 
folgten, die Nothwendigkeit entsprang, sich ihnen zu widersetzen; er 
wünschte den Widerstand von Oesterreich hervorzurufen, aber unter 
der Voraussetzung, daß Oesterreich ein Mitgefühl für seine Stellung 
haben werde, bis zugleich das Geheimniß gebrochen ward und der 
Fortschritt der österreichischen Waffen ihn selber bedrohte; dann ver- 
folgte er den Gedanken eines neuen Systems deutscher Staaten, er 
wollte für einen seiner Verbündeten Böhmen behaupten, dem andern 
Mähren erobern, bis er sah, daß mit diesen niemals etwas auszu- 
richten sei. Dem raschen Enischlusse, eine Verbindung einzugehen, sich 
an ein Unternehmen zu wagen, der doch nicht ohne ein lebhaftes Be- 
wußtsein von der Unzuverlässigkeit der Dinge und der Menschen ge- 
faßt wird, steht ein immer wachsames, verdachtsvolles Mißtrauen zur 
Seite, der Ehrgeiz, denn das ist es bei ihm, sich nicht täuschen zu 
lassen; so wie die Absichten der Verbündeten zu weit gehen oder ihre 
Anstrengungen nicht weit genug, trägt er kein Bedenken, sich von 
ihnen loszusagen. 
In der Mitte der von verschiedenen Weltgegenden entbundenen 
Stürme, wer will mit dem Steuermann hadern, daß er seine Rich- 
tung bald nach der einen, bald nach der andern Seite nimmt, um 
dem Schiffbruch oder den nahen Untiefen zu entgehen. Er hielt es 
schon für genug, wenn er von keiner der entgegengesetzten Strömungen
	        
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